Nichts gegen Engländer
Abgeordneten wollten
zumindest sehen, was sie nicht verbieten können. Der Andrang war so groß, dass
die Vorführung in einen größeren Tagungsraum verlegt werden musste. Was danach
mit dem Decoder geschah, ist nicht bekannt.
Böte
sich hier nicht ein Weg aus der drohenden Rezession? Statt die Tickets zu
verschenken, sollten sie zu gesalzenen Preisen verscherbelt und mit einer
Vergnügungssteuer belegt werden. In den Ecken des Plenarsaales könnten Separees
eingerichtet werden - blauer Vorhang für die Tories, roter Vorhang für Labour.
Die
Engländer sind ohnehin ein Volk von Spannern. Nachdem die Boulevardblätter die
königliche Familie bis auf die Knochen ausgelutscht hatten, waren die Parlamentarier
an der Reihe. Am lustigsten waren die Enthüllungen über David Mellor, aber das
ist schon eine Weile her. Damals waren die Tories noch an der Macht, und Mellor
war Minister für kulturelles Erbe.
In
seinem Privatleben hat er sich jedoch eher mit Zeitgenössischem beschäftigt.
Genauer gesagt: mit der 30-jährigen spanischen Schauspielerin Antonia de
Sancha, deren größter Filmauftritt die Rolle einer beinamputierten
Prostituierten war, die es mit einem Pizzalieferanten treibt. Behauptete der Daily Mirror. Und er wusste noch mehr: »Es geschah mitten in der Nacht. David Mellor kroch in
ihr Schlafzimmer und begann, Shakespeare zu rezitieren. Sein blasses, nacktes
Fleisch glühte im Kerzenschimmer.«
Die
skandalgestählten Leser erfuhren, dass der nationale Erbschaftsverwalter gleich
in der ersten Nacht vier verschiedene Stellungen ausprobiert hatte und danach
von de Sancha übers Knie gelegt wurde. Am liebsten sprang Mellor im Trikot des
FC Chelsea zur Schauspielerin ins Bett. Die Sun, deren Leser über wenig Phantasie
verfügen, präsentierte den Minister auf der Titelseite per Fotomontage im
Chelsea-Outfit - mit Shorts allerdings, denn bei Schlägen unter die Gürtellinie
reicht selbst die Vorstellungskraft der Sun- Leserschar. Dann tauchten auch
noch Tonbänder auf: Nachrichten, die der verheiratete Minister grob fahrlässig
auf dem Anrufbeantworter seiner Freundin hinterlassen hat. Diese sammelte alles
und spielte das unbeholfene Balzgeplapper ihren Freunden vor, die sich vor
Vergnügen auf dem Boden wälzten - und alles brühwarm der Presse erzählten.
In
England, so scheint es, wimmelt es von falschen Freunden, die nur auf eine
Gelegenheit warten, irgend jemanden ans Messer zu liefern. Darüber hinaus
tauchen merkwürdigerweise bei jedem Skandal Tonbandmitschnitte von Privatgesprächen
auf - sei es bei »Dianagate«, beim Milliardenschwindler, dem Verleger Robert
Maxwell, oder beim obersten Traditionspfleger Mellor. Offenbar ist die Hälfte
der Bevölkerung damit beschäftigt, die andere Hälfte auszuspionieren.
Der
Versuch, nach französischem Vorbild ein Gesetz zum Schutz der Privatsphäre
einzuführen, stieß damals auf erbitterten Widerstand. Wortführer der Spanner
war ausgerechnet David Mellor. Vermutlich ohrfeigte er sich später dafür
zweimal täglich, denn die lächerliche Affaire hat ihn seine Tory-Karriere
gekostet. Die Daily Mail hatte behauptet, dass Mellors Freund, der Bauunternehmer
Elliott Bernerd, dem Minister während des Wahlkampfes nicht nur seinen
Mercedes, sondern auch seine Wohnung »als Liebesnest« überlassen habe. Im
Gegenzug soll Mellor ein millionenschweres Bauprojekt zwischen Bernerd und dem
damaligen Vorsitzenden des FC Chelsea, Ken Bates, vermittelt haben. Hatte er
dafür das Chelsea-Trikot erhalten?
Selbst
das britische Oberhaus hat einen gewissen Unterhaltungswert. Vor einiger Zeit
debattierte die Fossilienrunde über ethnische Minderheiten, Jugendliche und
innerstädtische Probleme. Ein potentiell spannendes Thema, zumal die Lords
offenbar über den nötigen Sachverstand verfügen. »In meinem Beruf als Lehrer
habe ich früher Jugendliche getroffen, meine Lords«, entpuppte sich der
63-jährige Lord Elton als Experte. Die Wiedereinführung der Wehrpflicht würde
die Jugendlichen schon zur Räson bringen, gab er seine Erkenntnisse zum besten.
Der
Bischof von Sheffield trifft sogar heute noch gelegentlich auf Jugendliche:
»Sie lungern auf der Kirchentreppe herum und trinken große Mengen Cider«,
entsetzte sich der Greis in Schwarz. Und wer nicht Cider trinkt, raucht
Cannabis oder spritzt Heroin - der Bischof verbriet sämtliche Klischees, die er
in der Sun aufgeschnappt hatte. In diesem Augenblick erhob sich der vermutlich von
Schlafstörungen
gepeinigte Lord
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