Nichts ist endlich - Miller, K: Nichts ist endlich - The eternal ones - What if love refused to die: Jugendroman
das Haar zerzausen, auch wenn sie genau wusste, dass sie später über die Knoten fluchen würde.
Zwanzig Meilen außerhalb der Stadt verwandelte sich die Straße in einen schmalen Feldweg. Nur hin und wieder sahen sie im Wald ein paar baufällige Häuser. Sie wirkten einsam und heruntergekommen, aber die Leute, die hier in den Bergen wohnten, gaben eben nicht viel auf Äußerlichkeiten. Haven hatte früher hin und wieder ein paar von den Männern am Straßenrand entlanglaufen sehen, in schlichten Overalls oder anderer Arbeitskleidung. Sie hatten ihr immer zugenickt, aber es war kaum zu übersehen gewesen, dass sie für Fremde nicht viel übrig hatten.
Als sie die Kuppe des Bergs fast erreicht hatten, tauchte am Straßenrand eine Kirche auf – ein schlichter Holzbau mit blütenweißen Wänden und einem kleinen rechteckigen Turm. Beau lenkte den Wagen auf den kleinen Kiesparkplatz und stellte den Motor ab. Wenn schon ein anderes Auto dort gestanden hätte, hätten sie nicht angehalten. Obwohl an dem Gebäude nichts darauf hinwies, wusste doch jeder in Snope City, dass es den Schlangenleuten gehörte, den Pfingstlern. Keiner ihrer Mitschüler, die dieser Bewegung angehörten, war Haven jemals besonders bedrohlich erschienen. Aber bei der Vorstellung, hier oben einer Gruppe von Leah Frizzells Onkel und Brüdern zu begegnen, die giftige Schlangen schwenkten und in Zungen sprachen, wahrte Haven doch lieber respektvolle Distanz.
Haven und Beau waren zehn Jahre alt gewesen, als Beaus Dad ihnen den Weg zu den Eden Falls gezeigt hatte, und seit sie selbst Auto fahren konnten, waren sie unzählige Male hier gewesen. Trotzdem dauerte es geschlagene fünf Minuten, bis die beiden den steil abfallenden Pfad gefunden hatten, der vom Kirchenparkplatz zu den Wasserfällen hinunterführte. Am Ende des Abstiegs folgten sie noch eine Weile einem wild schäumenden, felsdurchsetzten Wasserlauf, bis sie schließlich auf eine Lichtung gelangten. In der Mitte tat sich ein großes Becken aus Granitgestein auf, das das Wasser in den Berg gegraben hatte. Selbst jetzt, als sich die Sonne auf der Oberfläche spiegelte, lag der kleine See dunkel da, und sie hatten noch von niemandem gehört, der jemals den Grund des Gewässers berührt hätte.
Haven schlüpfte aus ihrem Sommerkleid und sprang ins Wasser. Sie zitterte heftig am ganzen Körper, während sie zu einem schmalen Vorsprung auf der gegenüberliegenden Seite schwamm. Dort stürzte das Wasser gut dreißig Meter in die Tiefe, um sich am Fuß des Wasserfalls wieder zu einem Fluss zu formen. Haven stellte sich auf die bemooste Kante, sodass das Wasser über ihre Zehen strömte, und spähte in die weiße Gischt, die von unten aufstieg.
»Verdammt!« Sie hörte Beaus Stimme kaum durch das Tosen des Wassers. »Bin gleich wieder da.«
»Wo gehst du hin?«, schrie sie ihm zu.
»Ich hab die Kühltasche im Auto vergessen!«
»Bleib hier, ich hab überhaupt keinen Hunger«, rief sie zurück, aber er war schon den Pfad hinauf verschwunden.
Haven breitete ein Handtuch auf der Wiese aus und legte sich in die Sonne, die in Sprenkeln durch die Baumkronen drang. Eine wohlige Wärme stieg von dem Felsen unter ihr auf, und sie spürte, wie das Wasser in der sanften Brise prickelnd über ihre Haut rann. Es war das erste Mal seit Wochen, dass sie vollkommen allein war, und irgendwie fühlte sie sich sauberer, so als hätte sie sich bei ihrem Bad eine unsichtbare Schmutzschicht abgewaschen. Sie war gerade kurz davor, einzudösen, als sie plötzlich Blätter rascheln hörte. Hastig setzte sie sich auf und fürchtete schon, einen Schwarzbären vor sich zu sehen oder eins von den Wildschweinen, die hier in den Bergen lebten. Stattdessen erschien ein alter Mann mit seinem Hund am Waldrand. Haven zog ihr Handtuch unter sich hervor und wickelte es sich um, während der Mann bloß dastand und sie schweigend anblickte. Sein weißes Haar war streng zurückgekämmt und glänzte. In einer Hand hielt er eine große Holzkiste. Trotz der sommerlichen Hitze trug er ein Flanellhemd und eine abgenutzte Arbeitshose, die von einem Paar Hosenträger gehalten wurde. Auf Haven wirkte seine Kleidung sonderbar förmlich, und schließlich fiel ihr ein, wo sie ihn schon einmal gesehen hatte. Er und ein jüngerer Mann belieferten Imogenes Haus jeden Winter mit Feuerholz. Haven bezweifelte, dass sie sich gegen ihn zur Wehr setzen könnte, wenn es nötig sein sollte.
»Wer bist du denn?«, fragte der Mann, als hätte er sie in
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