Nichts kann ich mir am besten merken (German Edition)
in aller Seelenruhe auf die mittlere Spur. Der schießwütige Heißsporn zu Ihrer Linken wird sein Gaspedal bis in den Motorraum durchdrücken, um schimpfend mit Fullspeed an Ihnen vorbeizuziehen. Wenn Sie ein sehr gutes Timing hinlegen, blitzt es genau in dem Moment, in dem er Sie mit 140 Sachen überholt und Ihnen den Stinkefinger zeigt. Wenn sich am Heck seines SUVs noch ein Aufkleber von Sylt befindet oder der Spruch »Eure Armut kotzt mich an«, rollen Sie den Berg hinab mit dem guten Gefühl, wirklich alles richtig gemacht zu haben.
Ich bin ja grundsätzlich der Auffassung, dass den verantwortlichen Verkehrsbehörden zu oft unrecht getan wird. Ein Blitzer ist aus Sicht von vielen immer Abzocke, Geschwindigkeitsbegrenzungen Schikane und Warnschilder deutscher Behördenunsinn. Sobald sich allerdings an einer Stelle ohne Blitzer, Warnhinweis oder Tempolimit ein Unfall ereignet, ist der Verursacher oft der Erste, der versucht, bei den Behörden wegen unterlassenen Warnrufs einen Teil seiner Schuld abzuladen. Millionen und Abermillionen werden dafür ausgegeben, Verkehrsteilnehmer von Dummheiten abzuhalten. Kilometerlang werden Leitplanken auf kurvigen Strecken im unteren Bereich verstärkt, damit sich Motorradfahrer nicht die Schenkel absäbeln. Bahnübergänge werden mit immer neuen Schrankenkonstruktionen versehen, damit keiner zum falschen Zeitpunkt drauffährt. Und Kurven werden mit Dutzenden blinkenden Warnbaken gesichert, damit niemand geradeaus fährt. Es tut mir leid, es an dieser Stelle mal so spießig sagen zu müssen, aber wenn sich jeder an die Regeln halten würde, wäre dieser ganze teure Irrsinn überhaupt nicht nötig!
Man könnte das viele Geld beispielsweise in warm leuchtende Gaslampen stecken, statt sich bei jeder Sicherheitsvorkehrung nach dem Peak auf der Skala des größtmöglichen tölpelhaften Verhaltens zu richten.
Gut, das war jetzt etwas moralinsauer, gebe ich zu. Ich möchte die Gelegenheit dennoch nutzen, den deutschen Straßenverkehrsbehörden für zwei Dinge zu danken: Erstens für die recht neue Sitte, an Autobahnbaustellen mittels Hinweisschild zu erklären, weswegen gebuddelt wird und wie lange es voraussichtlich dauern wird. Man steht schließlich viel lieber in einem Stau, wenn man weiß, dass man es zugunsten eines dreistreifigen Ausbaus tut, der im kommenden Mai vor der Fertigstellung steht.
Und zweitens für die Baustellenkinder. Es gibt sie noch nicht in allen Bundesländern, aber zumindest in Hessen kann ich mir eine Autobahnbaustelle ohne sie gar nicht mehr vorstellen. Zwei Halbwüchsige mit Helm und Reflektorjacke kündigen zu Beginn der Bauarbeiten mit finsteren Mienen die Länge an: »Oje, ’ne Baustelle. Noch acht Kilometer.« Bei Kilometer sieben sehen sie immer noch ziemlich niedergeschlagen aus ob der Behinderungen im Straßenverkehr. Bei Kilometer sechs stehen sie Rücken an Rücken, zornig die Ärmchen vor dem Bauch verschränkt. Einen ersten Anflug von Hoffnung meint man in den Mundwinkeln bei Kilometer fünf zu erkennen. Bei Kilometer vier umarmt der Junge das Mädchen mit der guten Nachricht, dass die Hälfte der Strapaze nun geschafft ist. Ein erstes vorsichtiges Lächeln umspielt ihren Mund bei Kilometer drei. Auch im Antlitz des Jungen macht sich ab Kilometer zwei mehr Optimismus als Verzagtheit breit. Vor dem letzten Kilometer sind die beiden schon ganz schön gut drauf, und es hält sie nichts mehr auf ihren Plätzen. Zum Ende der Baustelle wirft er voll Begeisterung den Schutzhelm in die Höhe, sie lässt die Zöpfchen fliegen und beide krähen begeistert: »Hurra, geschafft!« Kann man bei dieser herzigen Art von Baustellen-Entertainment noch einen Groll gegen Behörden und bummelnde Arbeiter hegen?
Seit 1984 hat sich ein weiteres Hinweisschild an unseren Autobahnen breitgemacht. Es handelt sich um Zeichen 386 der Straßenverkehrsordnung, der sogenannte Touristische Hinweis. Groß, braun und mit einem stilisierten Piktogramm der jeweiligen Sehenswürdigkeit. Bis heute ist nicht geklärt, ob die Tafel »Löwensteiner Berge« bei Heilbronn oder der Hinweis »Burg Teck« südöstlich von Stuttgart der erste seiner Art war, sicher ist aber, dass das Ländle die Nase vorn hatte. Natürlich ist per Verordnung festgelegt, wo und wie diese Hinweise zu stehen haben, nämlich mindestens in einem Abstand von 1000 Metern zur nichttouristischen wegweisenden Beschilderung – und möglichst nur eins alle zwanzig Kilometer. Gegen dieses Gebot wird allerdings
Weitere Kostenlose Bücher