Nichts kann ich mir am besten merken (German Edition)
reihenweise verstoßen. Misstrauisch sollten Sie werden, wenn bei einer Stadt nur ein einziger Höhepunkt beworben wird wie beispielsweise »Pforzheim – Reuchlinhaus«. Sie können dann davon ausgehen, dass die Sehenswürdigkeiten in dem Flecken am Wegesrand rar gesät sind und sich ein Besuch der Stadt wirklich nur für einfach zu begeisternde Gemüter empfiehlt. Grundsätzlich ist die Idee des Zeichens 386 allerdings nicht verkehrt, denn viele deutsche Städte sind von der Autobahn aus nicht mal zu erahnen. Wer an der A3 oder der A9 Nürnberg passiert, mag denken, er befände sich im größten zusammenhängenden Waldgebiet Frankens, aber nicht in den Outskirts einer Großstadt. Der einzige Hinweis auf die Existenz Frankfurts wiederum ist für den Transitreisenden auf der südlich verlaufenden Autobahn der Flughafen und ein nicht abebbender Strom von Jets, die die Autobahn überfliegen. Hochhäuser? Dom? Paulskirche? Fehlanzeige!
Da lobe ich mir Saarbrücken: Das gesamte westliche Saarufer besteht aus Beton und der vierspurigen A620. Wie an einer Perlenkette aufgereiht, liegen auf der gegenüberliegenden Seite die Sehenswürdigkeiten der City. Saarbrücken ist wahrscheinlich die einzige deutsche Stadt, in der man mit Tempo 100 eine Sightseeing-Tour durchs Zentrum machen kann. Toll. Ein etwa drei Meter breiter Weg zwischen Flussufer und Beschleunigungsstreifen dient dem Saarbrücker für allerlei Romantik. Mit Blick auf die Bausünden der Innenstadt eignet sich dieses Plätzchen hervorragend für Heiratsanträge oder sonstige Liebesbekundungen. Voraussetzung ist, dass ein leistungsstarkes Megaphon mitgeführt wird.
Wird eine Bundesautobahn neu gebaut, und es liegen zu ihrer Rechten und ihrer Linken zwei etwa gleich große Städte in ähnlicher Entfernung, wird der Fehdehandschuh direkt mitgeliefert. Denn jeder der beiden Flecken wünscht, dass die Ausfahrt doch bitte schön seinen Namen tragen möge. Bürgermeister denken so: »Ah, ein Fuhrunternehmer! Sicher sucht er nach einem Standort für ein neues Logistikzentrum. Wenn mein Ort auf dem Schild als erstes Erwähnung findet, ist er bestimmt auch erste Wahl bei der Neuansiedlung des Gewerbebetriebs«. Das ist natürlich falsch ! Denn einzig und allein wo werden Orte permanent erwähnt, nach denen die Ausfahrten benannt sind? In der Staudurchsage. Bleibt beim Fuhrunternehmer also hängen: »Besser nicht in Marktheidenfeld ansiedeln, dort ist ja ständig alles dicht.«
Wenn Berühmtheit zur Bürde wird. Etliche Orte in Deutschland wären wahrscheinlich lieber unbekannt geblieben, als auf ihre individuelle Art und Weise prominent geworden. Wackersdorf zum Beispiel. Völlig unbekannt war diese Oberpfälzer Gemeinde, bis man in den achtziger Jahren dort eine atomare Wiederaufbereitungsanlage erreichten wollte. Oder Ramstein (Flugunglück). Krümmel (Pannenreaktor). Eschede (Zugkatastrophe). Emsdetten, Winnenden (Schulmassaker). Mutlangen (Stationierung Pershing-II-Raketen), Biblis (noch ein Pannenreaktor), Gladbeck (Geiseldrama), Görlitz (permanente Überschwemmungen), Bad Reichenhall (Eissporthalle), Obrigheim (ältester Pannenreaktor), Bayreuth (Uni von Karl-Theodor zu Guttenberg). Nee, nee, ganz ehrlich, dann lieber kein Image als ein solches.
Gelegentlich kann übrigens auch eine Partnerstadt dafür sorgen, dass man in einen Strudel der Imageprobleme gerissen wird. Das explizit linke Mörfelden-Walldorf in Hessen zum Beispiel (Ergebnis der Kommunalwahl 2011: 35 Prozent SPD, 24 Prozent Grüne, 8 Prozent DKP (!)) hat sich mit seiner Verschwisterung mit dem französischen Vitrolles den Beelzebub ins Haus geholt. Dort kam 1997 die erste Bürgermeisterin des unverhohlen rechtsextrem agierenden Front National ins Amt. Mit einer Politikerin aus der Partei eines Holocaustleugners wollte man im Südhessischen nichts zu tun haben, die Stadtverordnetenversammlung sah sich gezwungen, per Beschluss die Beziehungen zu Vitrolles auf Eis zu legen. Erst als die Bewohner der Partnerstadt Vernunft annahmen und die rechte Lady, deren Ehemann Gelder der Stadt veruntreut hatte, vom Hof jagten, hatten die Mörfelden-Walldorfer ihre Partnerstadt wieder lieb.
Für gute Stimmung beim Adressieren von Briefkuverts sorgt immer wieder die Geste deutscher Städte, Straßen nach ihren Partnerstädten zu benennen. Bis Sie an einer kostenpflichtigen Hotline erklärt haben, dass Sie in der »Le-Cannet-Rocheville-Straße« oder in der »Deuil-la-barre-Straße« wohnen (die es beide gibt),
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