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Nichts kann ich mir am besten merken (German Edition)

Nichts kann ich mir am besten merken (German Edition)

Titel: Nichts kann ich mir am besten merken (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Frühling
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Beispiel heranziehen. Hamburg ist von Freiburg fast genauso weit entfernt wie Paris von Marseille. Niemand in Frankreich käme aber auf die Idee zu behaupten, das Klima in der Hauptstadt sei milder und angenehmer als das am palmengesäumten Mittelmeer. Sie werden sich mit dieser Argumentationskette in Hamburg zwar nicht beliebt machen. Aber recht behalten. Und das ist manchmal ja auch wichtig.
    In einer Hafenstadt wie Hamburg gibt es ja einige Arbeitsplätze, die Schwindelfreiheit voraussetzen. Zum Beispiel so einen Kran zu fahren, der über die Container drüber schwebt und sie von einem Platz zum anderen hievt. Extrem von Höhenschwindel befreit müssen aber auch die Menschen sein, die in Hamburg die Glühbirnen der Straßenlaternen auswechseln. Die typisch hanseatische Peitschenlampe an einer Hauptstraße ragt so weit in den Himmel wie kein vergleichbarer Leuchtkörper bundesweit. Das illuminierende Ende der Laterne befindet sich etwa in Höhe der fünften Etage eines handelsüblichen Wohnhauses. Seien Sie also auf der Hut, falls man Ihnen an der Alster mal eine Maisonettewohnung ohne Rollläden anbieten will. Sie werden sich allabendlich fühlen wie im Millerntorstadion bei einem Flutlichtspiel.
    Straßenlaternen sind übrigens auch ein guter Indikator für kommunale Grenzziehungen. Sieht die Lampe anders aus, befindet man sich wahrscheinlich schon in der Nachbarstadt. Mit diesem Trick können Sie auch Berliner verblüffen: Den meisten Häusern sieht man ja nicht mehr an, ob sie ehemals im West-oder im Ostteil der Stadt standen. Auch der Trabi oder der Geruch nach Kohlenheizung taugen nicht mehr als zuverlässiges Indiz. Wenn Sie sich allerdings die drei gängigen Laternenmodelle der DDR draufschaffen, werden Sie zuverlässiger als ein Kompass die ehemalige Sektorenzugehörigkeit bestimmen können.
    Der typische Hauptstraßen-Leuchtkörper Marke Ost ist um die Birne oval geformt und läuft zur Aufhängung hin konisch zu. Beschraubbar ist dieses tropfenförmige Modell mit ein oder zwei Birnen. An Hauptstraßen, die besonderen Prunk vermitteln sollten, wurde auch eine zweistielige Variation verwendet, die sich V-förmig vom oberen Ende des Lampenmastes verzweigte. Hunderte Kilometer des eisernen Vorhangs waren darüber hinaus durch diese Lampenart ausgeleuchtet.
    Die Variante mit einem schwarzen, rechteckigen Kopf fand man häufiger auf Nebenstraßen der DDR. Laut meiner Recherche ist die offizielle Typenbezeichnung »Natriumdampflampe«. Sie kam in den achtziger Jahren in Mode und wurde in den Stärken 70, 250 und 400 Watt verwendet, letztere gerne zum Beleuchten von Gleisanlagen oder heiklen Stellen, deren hektisches Passieren mit dem Straftatbestand »Republikflucht« geahndet wurde.
    Und dann gibt es noch die klassische Wohngebietsversion. Auf einem meist steinernen Fuß ruht ein pilzartiger, metallener Kopf, der unterhalb des Schirms mit mattem oder kristallisiertem Glas umgeben ist. In vielen Siedlungen ohne großen Durchgangsverkehr ist dieses Relikt bis heute zu bewundern. Da Berlin finanziell ja als sehr klamm gilt, ist der Austausch der alten Ost-Lampen nie mit Feuereifer betrieben worden. Sie werden daher auch noch in einigen Jahrzehnten ihre Indikator-Wirkung nicht verloren haben.
    Im Gegensatz zur DDR ist das Beleuchtungsmaterial an den ehemals westdeutschen Straßen eher heterogen, also kaum einheitlich. Sehr verbreitet waren in den sechziger und siebziger Jahren Neonröhren, die entweder am typischen Bogenstiel angebracht oder mittels Kabel von Haus zu Haus über die Straße gepannt waren. Diese Lampenart wird heute kaum noch neu angebracht, weil ihr Licht kalt ist und ihr Design irgendwie ärmlich. Auch komplette Neu-Hängungen sind eher selten, meist stehen unlängst errichtete Leuchtmittel auf einem festen Fuß am Straßenrand.
    Es gibt übrigens Städte, die so gut wie gar keine Hängelampen aufweisen, Berlin gehört dazu. Besonders der Westteil der Stadt zeichnet sich durch eine erfreuliche Einheitlichkeit bezüglich der Illuminierung aus. Wenn am Anfang einer Straße mit einem Lampenmodell begonnen wird, kann man sich bis zu deren Ende recht zuverlässig auf den Leuchtkörper gleichen Modells einstellen. In Köln dagegen wird einfach angebracht, was noch gerade am Lager war, völlig egal, welches Laternenmodell davor und dahinter vor sich hin funzelt. Hannover hat vor einiger Zeit im Bereich Laterne recht großzügig aufgerüstet und sich an allen größeren Zufahrtswegen modische Lampions

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