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Nichts Weißes: Roman (German Edition)

Nichts Weißes: Roman (German Edition)

Titel: Nichts Weißes: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulf Erdmann Ziegler
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kam ihr mit jedem Tag unwahrscheinlicher vor. Es war von Büchern die Rede, die im September fertig werden sollten. Ein »Das muss dich ja nicht mehr interessieren« kam nicht vor.
    Der Sommer wurde immer größer, er spannte sich von Horizont zu Horizont, er fächelte zur Nachtzeit in ihre Kammer. So strich die letzte Woche vorbei. Am letztem Tag im August, dem Freitag, hatte Uli Marleen eingeladen, sie saßen nebeneinander auf einer Caféterrasse, der Kuchen zu schwer und der Kaffee zu bitter, aber Nördlingen war eben nicht Mailand. Ein Wind war aufgekommen, sie fröstelten im Schatten der gewaltigen Markise. Uli sprach vom ländlichen Anwesen seiner Mutter im Hohenlohischen, wo er als Student ganze Sommer verbracht hatte; Volpe aber könne ihn nicht mehr als zwei Wochen entbehren. Noch am selben Abend würde er den Überlandbus besteigen nach Schwäbisch Hall und dort vom Bruder abgeholt werden, der ein Hallischer Braumeister war. Apfelblüte, Buchenwald, Hopfenhänge; das müsse sie einfach sehen, sagte er, warum nicht, sagte sie. Der Wind nahm zwei Tischdecken gleichzeitig mit, die im Garten verschwanden wie ein Schmetterlingspaar.
    »Marle?«
    Sie lugte ihn von der Seite an. Er wandte sich ihr flüchtig zu und sah dann wieder ins Grüne, Blätter glitzernd im Aufwind.
    »Marle. Däädsch mi heirade?«
    Sie erstarrte. Kurz wandte er den Kopf zu ihr, nahm dann die Brille ab, wischte sich die Augen, setzte sie wieder auf. Eine Bö fuhr unter die Markise, blähte sie, hob sie leicht an, ließ plötzlich nach. In dem Moment brach von drei Trägern der mittlere. Das erste Teilstück blieb mit der Wand verbunden, der Rest raste wie ein Schwert auf das Haus zu, so schnell, dass keiner von beiden ausweichen konnte. Der stählerne Arm mitdem scharfen Ende nahm alles mit, was auf dem Tisch stand, und schlug zwischen ihnen in die Wand ein Loch von der Tiefe einer Faust. Sie riefen einander, gleichzeitig, schreiend beim Vornamen; das klang wie Au. Der Chef erschien mit Schwiegersohn und begann, die Gäste nicht weiter beachtend, sich an der Markise zu schaffen zu machen. Marleen, die näher an der Tür saß, nutzte die Gelegenheit, stand schnell auf und verschwand im Gastraum des Cafés, wo die Bedienung in einer bestickten Schürze sich ihr in den Weg stellte und fragte:
    »Sie welle zoohle?«

Das Gegenteil von was?
    Jemand hatte die Küche grün gestrichen, nicht gras-, frosch- oder flaschengrün, kein helles und kein dunkles, einfach irgendein Grün, schal und stumpf. Sie hatte die Wohnung trotzdem genommen, denn es war die erste, die sie sah, die erste, die sie haben konnte, da wäre ihr nein zu sagen übermütig vorgekommen.
    Auch sonst war ihr eher nach ja als nach nein, nach viel statt wenig und jetzt statt später, weshalb sie sich überall einschrieb, für Typo, Foto, Film, Grundlagen der Gestaltung und deren Theorie; nur die Keramikwerkstätten mied sie, weil die Öfen so merkwürdig rochen und überhaupt, sie wollte doch nicht Töpferin werden.
    Sie musste mit dem Fahrrad über den Hügel strampeln und dann nur noch die Bremsen bedienen bis zur Frankfurter Straße, wo die Autos und die Straßenbahn um die Wette fuhren. Die geschachtelten Bungalows der Kunsthochschule lagen in dem stillen Viertel dahinter, der Mensatrakt geöffnet zur Karlsaue, eine Mischung aus Stadtpark und Schlosspark, aber kaum Leute zu sehen. Da standen früher die Remisen, dachte Marleen.
    Die Gespräche in der Mensa waren so locker und unverbindlich wie die Gruppen, die sich bildeten, ohne Verabredung, immer brach gerade jemand auf oder kam dazu. Marleen interessierte sich nicht so sehr für das »Wo-wohnst-du?« und »Was-kostet-das?«; auch wollte sie nicht preisgeben, noch nicht, dass sie ein zweites Zimmer hatte, ein kleines, zu dunkel eigentlich, aber gut genug für jemanden ohne Bleibe. Sie sagte in eine Gesprächspause hinein,
    »Das ist eine merkwürdige Fahrt hier runter. Erst werdendie Häuser immer größer, Ampeln, Gleise, und dann diese silberne Oase.«
    Zehn Augen sahen sie an, erst ein wenig überrascht, dann amüsiert, weil nichts mehr kam, und plötzlich reserviert, weil niemandem etwas einfiel. Da sagte einer vom Ende des Tisches,
    »Wie eine Wallfahrt ist das.« Man gackerte erleichtert. Der junge Mann lächelte flüchtig, fixierte Marleen, nahm sein Tablett und ging. Das war so einer, der Hosen mit Bügelfalten trug. Aber den richtigen Gang hatte der, nicht zu schnell und aus der Mitte heraus.
    Alles, was Marleen

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