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Nichts Weißes: Roman (German Edition)

Nichts Weißes: Roman (German Edition)

Titel: Nichts Weißes: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulf Erdmann Ziegler
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Nicht David, der Bruder von Katie, sondern dieser David. Der vielleicht der Bruder von Tombreien war. Oder von Kjell. Oder von beiden. Er fragte nicht.
    Den dritten Tag verbrachte er in der Küche, wegen des Besuchs. Ganz viele Männer brachten ganz viele Balken. Wenn das nicht Baumstämme waren. Daraus bauten sie ein Haus. Sie bauten es an die Rückwand des Lofts. Es sah sehr schön aus, weil die Balken sich an den Ecken überkreuzten. Zwei Fenster bekam es und eine Tür sowie ein Giebeldach aus heller, gespannter Leinwand. Als er sich schließlich ausder Küche traute, am Abend, fand er in der Blockhütte ein Bett, eine Kommode, einen kleinen Tisch, eine Lampe, einen Stuhl und ein Bild an der Wand, das er gut kannte. Es zeigte, locker gezeichnet, zwei Kerle, die sich fast glichen, wobei der eine mehr grinste als der andere. Das waren auf jeden Fall Brüder.
    Antoine konnte es kaum fassen, dass dies nun seins war. Einerseits.
    »On va rester ici longtemps?«, flüsterte er.
    »Eine Weile, mein Schatz.«
    »Il ya des crèches ici?«
    »Krippen gibt es überall. Hab Geduld.«
    Am Abend drängten sich in der Hüttentür drei Figuren, vollkommen still, die Köpfe kaum zu sehen. Marleen, die vom Klo zurückgekommen war, wartete. Die drei Männer sprachen nicht; sie hielten sich an Schultern und Hüften. Antoines Schlaflicht, von innen, zeichnete die Kontur der Gruppe. Dann lösten sie sich, bemerkten Marleen, kamen zu dritt auf sie zu und schlossen sie in ihre Arme. Marleen fing an zu weinen. David trocknete ihre Tränen mit der Manschette seines Hundertdollarhemds.
    Er war es auch, der Antoine im Kindergarten auf der Upper West Side unterbrachte, in den er selbst mehr als zwanzig Jahre zuvor gegangen war. Sie saßen vor dem Schreibtisch der Leiterin, dieselbe wie damals, der große David und der kleine Antoine, dieser stumm. David deutete an, dass das Kind einen Kulturschock erlitten habe, entwurzelt sei, vaterlos, aber zweisprachig, keinesfalls lernbehindert, als Antoine, fixiert auf einen Brownie auf dem Schreibtisch, danach langte, den Kopf zu David drehte und fast akzentfrei fragte:
    »Can I have that?«
    Marleen begann etwas zu spüren, wofür sie keinen Namen hatte, etwas, das die Schädeldecke von innen anzuhebenschien und die Schritte leicht machte. Es war ihr durchaus recht, um Mitternacht ein Hochbett zu besteigen, um halb neun morgens mit Antoine das Haus zu verlassen, um sieben mit Einkaufstüten zurückzukehren bei Dunkelheit. Es stimmte, dass in New York die Lebensuhr grausam tickte und das Geld leichter ausgegeben als verdient war, und dass das Quietschen der Untergrundbahnen in den Nervenkanal trieb. Dass die Leute mit Pappbechern um sich warfen und mit Ideen und beides wunderlicherweise verschwand. Denn wir wissen, wie einsam sie gewesen ist, Marleen.
    Wie ein Hirtenhund entwickelte sie eine Vorliebe für Vollständigkeit. Ja, es tat ihr im Herzen weh, als Tom Bryan ein Flugzeug nach New Orleans nahm, um im ererbten Haus einer Tante mit Nichten und Neffen die Weihnachtstage zu verbringen.
    »Daran musst du dich gewöhnen«, versuchte David ihr das zu erklären, während Antoine die vom Regen glänzenden Felsen des Central Park bewunderte. »Er ist da unten eher ärmlich aufgewachsen, eines von vielen weißen Kindern, ich würde sagen, geradezu unbemerkt. Hat es mit der Militärakademie probiert, um seine Männlichkeit aufzuputzen. Ist bald abgehauen nach upstate New York, hat sich ein grandioses Hippiemädchen geangelt, eine alternative Farm gegründet. Anfang zwanzig und total glücklich. So muss man sich das wohl vorstellen. Ich war ja nicht dabei. Nach zwei oder drei Jahren hat sie ihn verlassen für einen, der experimentelles Cello spielte, und ihn als Bauerntölpel verhöhnt. Das hat ihn gebrochen, da war nichts mehr. Er hat in üblen Höhlen gewohnt, in der Bronx, in Queens, Loisaida, bevor wir ihn aufgegabelt haben. Du hast ja mitgekriegt, wie die Cateringfirma ihn für Hochzeiten holt oder wenn was schiefläuft. Ansonsten ist Nichtarbeiten für ihn Programm, das heißt, er fährt von Juli bis September mit seinem Icecream-Lieferwagen durch die Suburbia von Lafayette und New Orleans, und dann kommt er zurück, die Taschen voller Geld. Er macht da unten auf großer Bruder, Familie, das ist der Schmelz des Südens, aber … Das Haus der Tante ist ein Schuppen schräg unterhalb der Autobahn. Und er weiß ganz genau, wo seine Familie zu finden ist. Hast du ja selbst schon gemerkt.«
    An einem

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