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Nichts Weißes: Roman (German Edition)

Nichts Weißes: Roman (German Edition)

Titel: Nichts Weißes: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulf Erdmann Ziegler
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gegen die Entwickler. Marleen spürte jetzt die Risse, die durch das Unternehmen liefen. Dr. Van Der Rin trieb alles voran, was den Anwender im Büro entlastete. Sie glaubte an den allwissenden Apparat. IOM musste ihn nur weiterentwickeln, eine neue Generation zweijährlich, das war die Zukunft. Gene Sloane fürchtete, dass IOM schon mittelfristig mit eigener Intelligenz unterliegen würde am Markt. Er wollte superschnelle Büromaschinen, die jedes System in sich aufnehmen konnten. Jack O’Hare trieben größere Zweifel um: Sollte man nicht die allwissende Maschine ganz aufgeben und stattdessen ein Netzwerk von Komponenten entwerfen – der eine Teil roh, weil ohnehin verborgen, der andere Teil High Finish. Vergesst die Schreibmaschine! Die Menschen werden keine Aktentaschen mehr tragen, sondern IOMs. Jeder wird seine eigene Druckerei sein.
    »Wir ergreifen nicht Partei, das habe ich verstanden«, sagte sie beim Abendessen zu Passeraub, der sich schon auf die Ehrendoktorwürde freute, die die Universität Yale ihm im nächsten Monat verleihen würde. Er hatte einen weichen Chablis bringen lassen, und er sah, wie der Marleen in die Wangen schoss, als sie davon kostete, und er sagte:
    »Aber, egal, welche Option wir beraten, und wir …«
    »Beraten jede.«
    »… beraten jede, wir kontrollieren nur die absolut richtige Anwendung unverfälschter Fonts …«
    »… und implementieren neue …«
    »… im elektronischen System.«
    »Dennoch, arbeiten wir nicht an der Abschaffung unseres Berufs?«
    Passeraub warf ihr einen wilden Blick zu. Dann widmete er sich dem Geschehen auf seinem Teller. Er kaute, über sie wegblickend zur prächtigen Decke des Speisesaals.
    »Also«, antwortete er schließlich, »der Traktor hat den Ochsen ersetzt und die Mähmaschine den Knecht. Die Systeme werden größer. Was gestern noch einen Meister brauchte, braucht heute keinen mehr. Was möchten Sie tun, Marleen, sich eine der verbliebenen Bleisatzpressen kaufen und Briefpapier für Nostalgiker drucken?«
    Sie sah ihn verwirrt an.
    »Oder was möchten Sie, Marleen?«
    Sie sah auf die Uhr. »Ich muss heute Abend mit meinem Sohn telefonieren.«
    »Gewiss. Aber das meine ich nicht.«
    »Ich hätte gern einen unbefristeten Arbeitsvertrag, der mir ein solides Gehalt garantiert.«
    »Den bekommen Sie. Sie hätten ruhig schon früher fragen können. Das ist überhaupt kein Problem.«
    Sie verschluckte sich fast an ihrem Wein. Die Wangen leuchtend rot, die Augen schwimmend.
    Sie wartete darauf, dass Passeraub noch einmal fragte: Was möchten Sie, Marleen?
    Aber er schnaubte nur, fraß, warf ihr kurze, funkelnde Blicke zu. Sie dachte, was für ein Kauz. Der Kellner brachte Zigarren.
    Zwei Wochen sollten sie bleiben, und dies war der Dienstagabend der zweiten Woche. Als sie am Mittwoch, es war schon dunkel, zurückkehrten ins Hotel, lag in Marleens Fach ein Fax aus Paris. Das war der Arbeitsvertrag wie verlangt. Am gleichen Abend packte sie ihre Sachen, versicherte Passeraub,dass sie pünktlich um neun bei der Arbeit erscheinen werde, und stieg in ein Taxi.
    David holte sie wieder von der Telefonzelle ab. Tom Bryan kochte Nierensuppe, und David wendete Maiskolben auf einem elektrischen Grill. Sie waren sehr still.
    »Hans ist gestorben«, sagte David, irgendwann, abgewandt.
    »Oh«, sagte Marleen.
    David drehte sich um, Tränen in den Augen.
    »Oh«, sagte er, und versuchte ein Lächeln.

Dingbats
    Antoine stand mitten im Loft auf dem hölzernen Boden und war verstummt. Zuerst hatte er es in gebrochenem Schweizerdeutsch probiert. Weil doch der eine Mann auch David hieß. Dann hatte er es mit Französisch versucht, ohne viel Erfolg. Mama sprach mit den Leuten, bei denen sie offenbar wohnen würden, in einer Sprache, die er nicht kannte. Das kam ihm, mit zweieinhalb Jahren, vor wie Betrug. Auch wunderte er sich über die Aufmerksamkeit, die Mama zukam. Bisher schien es eigentlich abgemacht, dass er die Hauptperson war, oder eigentlich Katie, dann er, dann der kleine David, er konnte sich so genau nicht mehr erinnern; das war ja schon mehr als zwei Tage her.
    Und doch, die Neue Welt nahm Antoine mit Freuden auf. Man bewunderte seine großen, klaren Augen, seine aufrechte Haltung, sein selbstbewusstes Stapfen, seine marineblaue Strickjacke mit den weißen Sternchen. Da er nicht sagte, was er essen wollte, riet man es, morgens, mittags und abends. Er musste kein Müsli mehr essen, und Pizza war etwas ganz Normales. David konnte sie sogar selber backen.

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