Nick Perfect – Bruder per Post
Sie ist schrumplig wie eine Rosine, und ihr Vorname lautet wahrscheinlich Maude oder Millie, keine Ahnung. Old Lady Ireland ist das Gegenteil von Mr Dewey– sie ist eine dieser Nachbarinnen, die andauernd quasseln, auch wenn man zur Bushaltestelle muss oder einfach schnell weg will.
Außerdem ist sie geizig. Sie schenkte jedem von uns nur eine kleine Rolle Traubenzucker, mit jeweils vielleicht zehn Stück drin. Es lohnte kaum die Mühe.
Dann erkundigte sich Old Lady Ireland bei Nick, als was er verkleidet sei. Und Nick hielt ihr einen langen Vortrag über den großen Napoleon und die Französische Revolution, der vielleicht ganz interessant gewesen wäre, wenn nicht so viele Süßigkeiten auf uns gewartet hätten und wir so wenig Zeit gehabt hätten, sie abzuholen. Ich musste Nick von der Tür wegziehen und hörte noch, wie sich die alten Damen bei ihm für die » faszinierende Geschichtsstunde« bedankte und ihn einlud, sie mal zu besuchen und das Gespräch fortzusetzen. Ich denke, sie ist einsam.
» Oui, Madame, ich wäre sehr glücklich, in naher Zukunft wieder herzukomen«, riefNick, während ich ihn den Flur entlangzerrte. » Vive la France!«
Jetzt wurde es wirklich schräg.
Als wir den fünften Stock erreichten, war die Ausbeute schon ziemlich gut. Obwohl uns im dritten Stock ein Mann je einen Schokoriegel schenkte, der » Soja-Nuss-Wunder!« hieß. Igitt. Ich beschloss, ihn für eine Hungerkatastrophe aufzuheben, wenn es nur noch ums Überleben ging.
Jedenfalls näherten wir uns gerade dem Apartment 5 A, als–
Wuiii! … Wuiii! … Wuiii! … Wuiii! …
Mist! Feueralarm! Auch wenn es vermutlich gar kein Feuer gab– ich roch jedenfalls nichts–, mussten wir laut Vorschrift das Gebäude verlassen, bis die Feuerwehr grünes Licht gab. Manchmal dauerte das eine Stunde oder länger. Und bis dahin war es zu spät, um noch bei den Nachbarn zu klingeln.
» Los, Kinder«, sagte Pa, während er und Ma uns zur Treppe scheuchten.
» So ein verdammtes Pech«, grummelte ich, als wir mit ein paar anderen Kindern und Eltern die Treppen runtergingen. Eigentlich rechnete ich damit, dass Ma oder Pa mich gleich an all die armen, hungernden Kinder auf der Welt erinnern würden, die von Süßigkeiten nicht mal träumen konnten, aber diesmal blieb ich davon verschont.
Wuiii! … Wuiii! … Wuiii! … Wuiii! ….
Nick stieß mich mit dem Ellbogen an.
» Entschuldige, Ben«, sagte er dringlich. » Dies ist kein Bombenalarm, oder?«
» Nein, nur ein Feueralarm«, beruhigte ich ihn. » Wahrscheinlich hat nur irgendjemand seinen Toast anbrennen lassen und den Rauchmelder ausgelöst. Mach dir keine Sorgen.«
Ein paar Sekunden vergingen, dann lächelte Ben. » Getoasteter Toast?«, sagte er und kicherte ein bisschen vor sich hin.
Moment mal. Hatte er gerade versucht, einen Witz zu machen? Hey, nicht schlecht für den Anfang!
Kurz darauf standen meine Familie, meine Freunde und ich auf dem Gehweg, zusammen mit vielen anderen Hausbewohnern, und alle warteten auf die Feuerwehr. Es war eine komische Mischung aus deprimierten und gelangweilten Leuten, viele in Halloween-Kostümen. Manchmal blieben Fremde stehen und betrachteten das Gebäude, als erwarteten sie eine Szene aus einem Katastrophenfilm. Andere eilten nur vorbei, ohne auf uns zu achten. Und dann war da Leon, der Hausmeister, der immer wieder mal die Arme schwenkte wie ein Dirigent und sagte: » Bitte Ruhe bewahren!« Aber ich glaube, es wäre sowieso keiner ausgeflippt. Annie Banani sah sogar richtig glücklich aus und lächelte, als hätte uns nichts Besseres passieren können als der Feueralarm. Ich kapierte einfach nicht, was in diesem Mädchen vorging.
Wenigstens regnete oder schneite es nicht. Das wäre echt ätzend gewesen.
Endlich sah ich ein Feuerwehrauto, das in unsere Richtung kam, allerdings war es noch ein paar Blocks entfernt. » Hey, Nick«, sagte ich, » siehst du dort das…« Nick?– Wo zum Teufel war Nick?
In Panik schaute ich mich um und sah meinen Bruder weggehen, begleitet von zwei Männern, die Clownsmasken trugen. Klar! Das waren garantiert diese zwei Typen, die Spione! » Nick, komm sofort zurück!«, schrie ich. Und zu meinem Pa sagte ich etwas leiser: » Pa! Das sind sie! Die Typen dort!«
Als ich auf Nick zurannte, packte einer der Männer meinen Bruder am Arm, aber Nick riss sich los und die Typen flohen durch die Menge, die Straße runter. Inzwischen hatte Pa uns eingeholt.«Das waren sie! Diese Spione«, schrie ich. » Die
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