Nick Stone - 01 - Ferngesteuert
anzustellen; ich wußte ohnehin, was der Reporter sagen würde. Ich rechnete eigentlich damit, daß mein Freund, der junge Obdachlose, vor laufenden
Kameras berichten würde, was er gehört und gesehen hatte.
Kelly schlief jetzt so unruhig, als träume sie schlecht –
bestimmt von McGear.
Ich sah nachdenklich auf sie herab. Die Kleine hatte sich ausgezeichnet verhalten, das stand fest. Die letzten Tage waren so chaotisch für sie gewesen, daß ich
angefangen hatte, mir Sorgen um sie zu machen.
Siebenjährige sollten nicht mit solchem Scheiß
konfrontiert werden. Sogar Erwachsene sollten davon verschont bleiben. Was würde aus ihr werden? Mir
wurde plötzlich bewußt, daß ich mir mehr Sorgen um sie 351
als um mich selbst machte.
Als ich aufwachte, lief der Fernseher noch immer. Ein Blick auf meine Armbanduhr. Kurz nach halb elf.
Mittags würde Pat anrufen. Ich schaltete den Fernseher aus, weil ich mich ganz auf den Laptop konzentrieren wollte. Als ich dann aufzustehen versuchte, mußte ich feststellen, daß ich mich kaum noch bewegen konnte. Ich kam mir wie ein Hundertjähriger vor, als ich mich mit völlig steifem Genick aus dem Bett hochstemmte.
Ich machte etwas Krach, als ich den Laptop aus der Reisetasche holte und mit allem Zubehör anschloß, und Kelly fing an, sich zu bewegen. Als ich das System startete, lag sie auf einen Ellbogen gestützt im Bett und sah mir zu. Ihre Haare standen wie nach einer Explosion in allen Richtungen von ihrem Kopf ab. Nachdem sie sich eine Weile angehört hatte, wie ich über den Laptop fluchte, weil er nicht mit dem externen Laufwerk arbeiten wollte, schlug sie vor: »Warum startest du ihn nicht einfach neu und siehst dir dann das Programm an?«
Ich starrte sie an, als wollte ich »Klugscheißer!« sagen, aber dann murmelte ich: »Hmmm, vielleicht.« Ich
startete den Laptop neu, und diesmal funktionierte alles.
Ich drehte mich um und lächelte Kelly zu, die mein Lächeln erwiderte.
Ich fing an, die Dateien zu öffnen. Statt
geschäftsmäßiger Dateinamen, die ich erwartet hatte, tauchten Codewörter wie Boy, Weasel und Guru auf.
Viele Dateien enthielten Bilanzen und Rechnungen, mit denen ich jedoch nichts anfangen konnte. Was mich 352
betraf, hätten diese knapp vierhundert Seiten ebensogut in japanischen Schriftzeichen geschrieben sein können.
Dann öffnete ich eine weitere Datei mit dem Namen Dad. Sie bestand lediglich aus über den Bildschirm verteilten Punkten und Zahlen. Ich drehte mich nach Kelly um. »Was ist das da, du Schlaukopf?«
Sie sah sich das Muster an. »Weiß ich nicht. Ich bin erst sieben. Ich weiß auch nicht alles.«
Inzwischen war es fünf vor zwölf. Ich schaltete das Mobiltelefon ein, öffnete noch weitere Dateien und versuchte aus ihrem Inhalt schlau zu werden.
Es wurde zwölf, dann fünf nach zwölf.
Um Viertel nach zwölf war noch immer kein Anruf
gekommen. Ich geriet allmählich in Panik. Los, Pat, ich muß nach England und zu Simmonds zurück. Ich habe genügend Informationen … hoffentlich. Je länger ich bleibe, desto höher wird das Risiko. Pat, ich brauche dich!
Wenn Pat einen Anruftermin versäumte, mußte etwas Dramatisches passiert sein; selbst als er high gewesen war, hatte er meine Anweisungen pünktlich befolgt. Ich versuchte meine finsteren Befürchtungen zu verdrängen, indem ich mir einredete, er werde zur nächsten
vereinbarten Zeit anrufen. Aber während ich
unkonzentriert am Laptop weiterarbeitete, wurde mir langsam fast schlecht. Mein einziger Fluchtweg schien abgeschnitten zu sein. Ich hatte das bedrückende Gefühl, alles sei dabei, gräßlich schiefzugehen.
Um 15 Uhr 30 konnte ich diese Ungewißheit nicht
mehr aushalten. Ich mußte etwas unternehmen. Ich
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schaltete den Laptop ab und steckte die
Sicherungsdiskette ein. Kelly lag noch immer im Bett, hatte die Decke bis unters Kinn hochgezogen und sah sich im Fernsehen eine Kindersendung an.
»Du weißt, was ich gleich sagen werde, nicht wahr?«
fragte ich scherzend.
Kelly sprang aus dem Bett, trat mir in den Weg und schlang ihre Arme um mich. »Nicht weggehen! Nicht weggehen! Wir können zusammen fernsehen – oder darf ich diesmal mitkommen?«
»Nein, das geht nicht. Ich will, daß du hierbleibst.«
»Bitte!«
Was sollte ich machen? Ich konnte ihr nachfühlen, daß sie Angst vor dem Alleinsein hatte. »Gut, du kannst mitkommen – aber du mußt alles tun, was ich sage.«
»Okay, okay!« Sie sprang auf, um ihren Mantel zu
holen.
»Nein,
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