Nick Stone - 01 - Ferngesteuert
Pat.«
Damit war die Normalität zu Ende. Ich saß wirklich in der Scheiße. Auf Pat durfte ich nicht mehr hoffen.
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Wir traten aus der Einkaufspassage und hielten auf der Straße ein Taxi an.
Riverwood erwies sich als hübsches, bestimmt nicht billiges Wohnviertel, in dem Holzhäuser mit gepflegten 357
Rasenflächen und europäischen Wagen in den Einfahrten sich mit schicken Apartmentgebäuden mit Tiefgaragen abwechselten. Auch die Geschäfte zeigten, daß hier wohlhabende Leute wohnen mußten: gute
Buchhandlungen, teuer aussehende Modeboutiquen und kleine Galerien.
Ich ließ das Taxi an Pats Straße vorbeifahren und erst an der nächsten Kreuzung halten. Ich bezahlte den Fahrer, und er ließ uns in leichtem Regen stehen. Es wurde schon dunkel, etwas früher als sonst um diese Jahreszeit, aber die geschlossene Wolkendecke ließ alles grau in grau erscheinen. Die meisten Autos fuhren schon mit Licht.
»Hoffentlich ist Pat zu Hause«, meinte ich. »Sonst müssen wir den weiten Weg ins Hotel zurückfahren, ohne ihm auch nur hallo gesagt zu haben.«
Kelly war sichtlich aufgeregt, weil sie jetzt Pat kennenlernen sollte. Schließlich war Pat der Mann, von dem ich behauptet hatte, er werde ihr helfen, wieder nach Hause zu kommen. Ich war mir nicht sicher, ob sie verstanden hatte, was ich ihr über Mommy, Daddy und Aida erzählt hatte. Ich wußte nicht einmal, ob Kinder in ihrem Alter begriffen, was der Tod war – und daß er in jedem Fall endgültig war.
Ein Blick den Hügel hinauf zeigte mir, daß Pats Straße bestes Riverwood war: breit und elegant, mit Häusern und Läden, die seit vielen Jahren dort standen. Im weiteren Verlauf der Straße schienen neuere
Apartmentgebäude vorzuherrschen, aber auch sie wirkten sehr ordentlich, gepflegt und luxuriös. Ich wußte 358
natürlich nicht, in welchem dieser Gebäude Pat wohnte, aber es war leicht zu finden, denn ich brauchte nur den Hausnummern zu folgen.
Als wir an seinem Gebäude vorbeigingen, konnte ich den dazugehörigen Parkplatz überblicken, auf dem
tatsächlich Pats feuerroter Mustang stand. Inzwischen war es 19 Uhr 10 geworden. Weshalb, zum Teufel, hatte Pat mich nicht angerufen, wenn er offenbar zu Hause war?
Wir gingen in den Coffee Shop auf der anderen
Straßenseite. Der würzige Duft von frischgemahlenem Kaffee und die laute Rumbamusik im La Colombina
erinnerten mich sofort wieder an Bogotá; vielleicht hatte Pat sich deshalb für diese Wohngegend entschieden. Wir wollten einen Platz am Fenster, was kein Problem war.
Das Fenster war innen beschlagen; ich benutzte eine Papierserviette, um eine der Scheiben trockenzuwischen.
Dann setzten wir uns hin und warteten.
Kelly tat genau, was sie mir versprochen hatte: Sie hielt den Mund, solange ich nicht mit ihr redete.
Außerdem schien die Zeitschrift Girl! das beste Mittel zu sein, kleine Mädchen so abzulenken, daß sie nicht das Bedürfnis hatten, sich zu unterhalten. Ich kontrollierte nochmals mein Telefon. Ladezustand gut, Feldstärke gut.
Eine Bedienung kam, um unsere Bestellung
aufzunehmen. Obwohl ich nicht hungrig war, wollte ich Essen bestellen, weil die Zubereitung Zeit in Anspruch nahm und wir dann einige Zeit brauchen würden, um es zu essen. Auf diese Weise konnten wir länger hier sitzen, ohne aufzufallen.
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»Ich nehme ein Club-Sandwich und einen großen
Cappuccino«, sagte ich. »Und was möchtest du, Josie?«
Kelly strahlte die Bedienung an. »Machen Sie auch Shirley Temples?«
»Klar machen wir die, Schätzchen!«
Ich fand, das müsse ein Cocktail sein, aber die
Bedienung dachte sich anscheinend nichts dabei, dieses Getränk für ein Kind zu bestellen. Kelly vertiefte sich wieder in ihre Zeitschrift, und ich sah weiter aus dem Fenster.
Unsere Getränke kamen. Als wir wieder allein waren, fragte ich: »Was hast du da?«
»Erdbeeren und Kirschen mit Sprite gemixt.«
»Klingt widerlich. Laß mich mal probieren.«
Das Zeug schmeckte nach Bubble Gum, fand ich, aber Kinder mochten es offenbar. Kelly trank es mit
Begeisterung.
Die Bedienung brachte ein riesiges Sandwich. Ich
brauchte es nicht, aber ich aß es trotzdem. In meiner Dienstzeit beim SAS-Regiment und auch später hatte ich gelernt, in bezug auf Essen zu denken, wie man als Infanterist in bezug auf Schlaf denkt. Man ißt bei jeder sich bietenden Gelegenheit.
Hier im La Colombina ging alles seinen gewohnten
Gang; wir saßen nun schon fast eine Dreiviertelstunde am Fenster, und in einem Coffee Shop kann man
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