Nick Stone - 01 - Ferngesteuert
dies war der Preis, den Pat dafür bezahlt hatte. Ich fühlte mich desorientiert und
verzweifelt wie ein Versprengter auf feindlichem Gebiet
– ohne Karte, ohne Waffen, ohne Vorstellung davon, wohin ich mich wenden sollte. Pat war ein wahrer Freund gewesen. Auch wenn wir uns jahrelang nicht mehr
gesehen hatten, würde mir der Mann ohne Arsch
verdammt fehlen.
Als Pat in den Krankenwagen geladen wurde, zwang
ich mich, meine Gefühle zu unterdrücken. Ich wandte mich ab und ging mit Kelly an der Hand weiter den Hügel hinunter. Einer der Streifenwagen fuhr mit
Sirenengeheul davon, und der Krankenwagen würde
offenbar gleich folgen. Ich stellte mir vor, wie die Spurensicherer in Pats Wohnung ihre Overalls anzogen und ihre Geräte auspackten. Dann versuchte ich wieder, mich von solchen Vorstellungen zu lösen und meine Situation logisch zu betrachten: Pat war tot; jetzt hatte ich nur noch Euan.
An der ersten Straße bogen wir links ab, um von der Hauptstraße wegzukommen, und ich hörte, wie der
Fahrer des Krankenwagens seine Sirene zweimal kurz aufheulen ließ, um sich leichter in den Verkehrsstrom einordnen zu können. Wir folgten der neuen Straße. Auf beiden Seiten dieser Wohnstraße mit wenig
Durchgangsverkehr standen große Häuser, zu deren
Eingängen breite Steintreppen hinaufführten.
Ich hielt Kelly an der Hand, und wir gingen
schweigend nebeneinander her.
Trauergefühle wegen Pat hatten im Augenblick keinen 364
Platz in meinen Gedanken. Entscheidend war, was die Leute, die ihn umgelegt hatten, aus ihm hätten
herausholen können. Die PIRA oder Luther & Co. – wer wußte das schon? Natürlich unter der Voraussetzung, daß sein Tod mit mir zusammenhing. Der Teufel mochte
wissen, was Pat noch alles getrieben hatte. Aber ich mußte von der Annahme ausgehen, daß seine Mörder
versucht hatten herauszubekommen, wo wir uns
aufhielten. Aber Pat hatte nur eine Telefonnummer gehabt und von meinem Plan gewußt, mich im PIRA-Gebäude umzusehen. Gewohnheitsmäßige
Geheimhaltung hatte uns vermutlich das Leben gerettet.
Ich dachte so angestrengt nach, daß ich die Stimme zuerst gar nicht richtig wahrnahm. Dann glaubte ich, Kelly habe etwas gesagt, und wollte rasch ihre Hand drücken und sie auffordern, mich in Ruhe nachdenken zu lassen. Aber dann sprach sie erneut, eine leise, energische Männerstimme, und diesmal war der Sinn des Gesagten unmißverständlich.
»Halt, stehenbleiben. Keine Bewegung, sonst
erschieße ich Sie. Bleiben Sie so stehen.«
Das war kein Drogensüchtiger; das war kein nervöser junger Mann; das war jemand, der die Situation völlig unter Kontrolle hatte.
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Ich ließ meine Hände, wo sie waren.
Kelly schlang ihre Arme um meine Taille.
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»Schon gut, alles okay, keiner will dir was tun«, log ich wider besseres Wissen.
Seine Schritte kamen von links hinten näher. Er mußte aus dem Privatweg gekommen sein, der hinter den
Häusern verlief, an denen wir eben vorbeigegangen waren.
»Sie haben zwei Möglichkeiten«, erklärte er mir.
»Stillhalten und weiterleben. Eine Bewegung machen und erschossen werden.« Die Stimme gehörte einem
Mann Ende Zwanzig, Anfang Dreißig, präzise, gut
ausgebildet.
Es wäre zwecklos gewesen, meine Pistole ziehen zu wollen. Der Kerl hätte mich beim ersten Anzeichen einer Bewegung abgeknallt.
Ich entschied mich für die erste Möglichkeit.
Von der anderen Seite näherten sich weitere Schritte, und jemand zerrte Kelly von mir weg. »Nick! Nick!« rief sie verzweifelt. Aber ich konnte ihr nicht helfen, und sie war viel schwächer als die Männer. Sie wurde irgendwo nach hinten weggeschleppt. Ich konnte die Kerle, die uns geschnappt hatten, noch immer nicht sehen. Ich zwang mich dazu, Ruhe zu bewahren und mich ins
Unvermeidliche zu fügen.
Die Stimme begann mir in dem gleichen nüchternen, beinahe freundlichen Tonfall Befehle zu geben. »Sie heben langsam die Hände und legen sie auf den Kopf«, sagte der Unbekannte hinter mir. »Los machen Sie
schon.«
Als ich den Befehl ausgeführt hatte, verlangte er:
»Jetzt drehen Sie sich um.«
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Ich drehte mich langsam um und sah einen kleinen
schwarzhaarigen Mann, der mich profihaft mit seiner Pistole in Schach hielt. Er stand etwa zehn Meter hinter mir am Anfang des Privatwegs hinter den Häusern. Ich sah ihn schwer atmen, vermutlich weil er auf der Suche nach uns beiden die Straßen entlanggerannt war. Er trug einen Einreiher, und als ich den Klettverschluß seines Jacketts sah,
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