Nick Stone - 01 - Ferngesteuert
genug, um zu erkennen, daß sie vermutlich zum letzten Mal hier gewesen war. Dies war nicht mehr ihr Zuhause. Damit waren wir jetzt gleich. Wir waren beide heimatlos.
Ich sah die Wegweiser zum Dulles International Airport und gab etwas mehr Gas. Ich durfte nicht riskieren, nach Florida zurückzufahren.
35
Ich bog auf die Zubringerstraße zum Flughafen ab und steuerte die billigen Parkplätze unter freiem Himmel an. Dabei gestattete ich mir ein schiefes Lächeln; wenn ich so weitermachte, würden sie bald voller Wagen stehen, die ich gestohlen hatte. Mein Ärmel bekam ein paar Regentropfen ab, als ich den Parkschein aus dem Automaten zog, und bis wir einen Parkplatz gefunden hatten, plätscherte leichter Regen aufs Autodach.
Da ich am Haus der Browns vorbeigefahren war, konnten Ron und Melvin eine Verbindung zwischen mir und diesem Wagen hergestellt haben. Vielleicht waren sie schon befreit und hatten das Kennzeichen des verdächtigen Fahrzeugs durchgegeben. Dagegen konnte ich nicht viel tun, außer hier zu warten und zu hoffen, daß wir in der Masse der geparkten Wagen und im Regen nicht auffallen würden. Es war noch viel zu früh, als daß ein Erwachsener mit frischen Narben im Gesicht sich mit einem kleinen Mädchen auf dem Flughafen hätte zeigen können.
Ich drehte mich nach hinten um. »Alles in Ordnung, Kelly?« fragte ich. »Entschuldige, daß ich dich so angebrüllt habe, aber Erwachsene glauben manchmal, zu Kindern streng sein zu müssen.«
Sie starrte einen der Teddybären an, zupfte an seinem Pelz und schmollte.
»Du bist ein braves Mädchen, und mir tut’s leid, daß ich die Beherrschung verloren habe. Ich hab’s nicht so gemeint, ich bin nur so aufgeregt gewesen.«
Sie nickte langsam, während sie weiter mit ihrem zottigen Freund spielte.
»Möchtest du mit nach England?«
Sie sah auf. Sie sagte nichts, aber ich deutete ihr Verhalten als Zustimmung.
»Das ist gut, denn ich möchte auch, daß du mitkommst. Du hast mir bisher schon viel geholfen. Möchtest du mir auch in Zukunft helfen?«
Sie zuckte mit den Schultern. Ich beugte mich über meine Sitzlehne, griff nach dem anderen Teddybären und rieb seine Nase an ihrer Backe. »Vielleicht können Jenny und Ricky mir auch helfen. Was hältst du davon?«
Sie nickte widerstrebend.
»Okay, als erstes müssen wir ein paar Sachen aus der Reisetasche aussortieren.«
Ich setzte mich zu Kelly nach hinten, stellte die Tasche zwischen uns und zog den Reißverschluß auf. »Was können wir deiner Meinung nach entbehren?«
Ich wußte bereits, was ich aussortieren würde - alles bis auf das schwarze Tuch, das als Decke dienen konnte, und unser Waschzeug. Mehr brauchten wir im Augenblick nicht. »In Ordnung?« fragte ich, als ich mit dem Aussortieren fertig war. »Ist das alles?« Kelly nickte zustimmend, als habe sie diese Auswahl selbst getroffen.
Was ich nicht mehr brauchte, legte ich in den Kofferraum. Der Regen war unterdessen stärker geworden. Ich stieg wieder hinten ein und faltete das schwarze Tuch als Decke zusammen. »Wir müssen hier ein paar Stunden warten. Für den Flughafen ist’s noch viel zu früh. Wenn du willst, kannst du ein bißchen schlafen.«
Kelly streckte sich auf dem Rücksitz aus, und ich deckte sie zu. »So ist’s besser - du kannst mit Jenny und Ricky im Arm schlafen.«
Sie sah zu mir auf und lächelte. Wir waren wieder Freunde.
»Aber du gehst nicht wieder weg, Nick?«
Ausnahmsweise sagte ich die Wahrheit. »Nein, ich habe zu arbeiten. Du kannst beruhigt schlafen. Ich bleibe hier.« Ich setzte mich wieder ans Steuer, nahm den Laptop auf die Knie und klappte den Bildschirm hoch. Gleichzeitig überzeugte ich mich davon, daß der Zündschlüssel steckte, damit ich jederzeit wegfahren konnte. Falls wir erkannt wurden, mußten wir sofort startbereit sein.
Ich schaltete den Laptop ein, dessen Bildschirm das
Innere des Wagens geisterhaft erhellte. Dann schob ich Kevs Diskette ein. Ich wollte seinen Bericht unbedingt zu Ende lesen, aber als erstes speicherte ich den Inhalt der Diskette sicherheitshalber auf der Festplatte des Laptops. Zwischendurch fragte ich halblaut: »Kelly?« Keine Antwort. Das sanfte Rauschen des Regens hatte seine Arbeit getan.
Ich las weiter, wo ich aufgehört hatte. Ich wußte, daß Gibraltar schon immer ein Zentrum für internationalen Drogenhandel, Geldwäsche und Schmuggel gewesen war, aber 1987 hatte Spanien offenbar nicht nur weiter die Rückgabe der Halbinsel gefordert, sondern auch
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