Nick Stone - 02 - Doppeltes Spiel
um und begutachtete erneut den Baum halb rechts vor mir. Auch das leicht gewellte und dicht bewaldete Gelände dahinter bot reichlich Deckung.
Ich wandte mich halb nach links und trat absichtlich fest auf, um deutliche Spuren zu hinterlassen. Unsere Verfolger sollten sehen, dass ich mich von dem umgestürzten Baum entfernt hatte. Sarah folgte mir hechelnd und vor Anstrengung keuchend; sie hatte Mühe, mit Lance’ viel zu großen Sportschuhen zu laufen, ohne sie zu verlieren.
Hinter der nächsten Geländewelle floss ein gut zwei Meter breiter Bach. Ich hielt darauf zu und watete sofort ins eiskalte Wasser. Als ich mich umsah, war der umgestürzte Baum nicht mehr zu sehen.
Sarah blieb am Ufer stehen. »Was machst du?«
»Rein mit dir!«
Das Wasser reichte mir bis über die Knie. Ich wandte mich nach links, watete stromabwärts und machte nach jeweils zehn bis zwölf Schritten Halt, um mich davon zu überzeugen, dass der Baum nicht zu sehen war. Sarah platschte hinter mir her, bis ich nach etwa fünfzig Metern beschloss, das sei genug. Ich weiß nicht, warum ich das dachte; es kam mir einfach so vor. Ich stieg am anderen Ufer aus dem Wasser und blieb stehen. Sarah folgte mir; sie war für diese Pause sichtlich dankbar.
Ich ließ mir eine Minute Zeit, um meine Gedanken zu ordnen, und betrachtete Sarah dabei: durchnässt und
schlammig, Tannennadeln im Gesicht, Zweige im Haar. Bestimmt keine Aufmachung, die sie für einen Botschaftsempfang gewählt hätte, aber sie hielt sich gut; sie hatte offenbar trainiert, um fit zu bleiben.
»Weiter?«
Sie nickte und holte tief Luft, bevor wir uns wieder in Bewegung setzten.
Wir bewegten uns noch ungefähr dreihundert Meter in gerader Linie vom Bach weg. Sarah war jetzt sichtlich erschöpft, und ich musste mein Tempo verringern, damit sie mitkam. Dann wurde es Zeit für ein letztes Täuschungsmanöver. Ich machte Halt und trat an einen Felsblock, der hier aus dem Moos ragte. Als Sarah zu mir aufschloss, standen wir beide nach vorn gebeugt und mit auf den Knien liegenden Händen da und rangen keuchend nach
Luft, als hätten wir gerade einen Zweihundertmeterspurt hinter uns.
»Sarah, zieh deinen Slip aus.«
Sie starrte mich verständnislos an. Hier, unter diesen Umständen? »Was?«
»Deinen Slip. Ich brauche ihn.« Ich hatte schon meine Jacke ausgezogen und knöpfte mir das Hemd auf, um an das T-Shirt darunter heranzukommen. Sarahs Gesichtsausdruck zeigte mir, dass sie nicht recht wusste, was sie von meiner Aufforderung halten sollte. »Verlass dich auf mich, Sarah«, drängte ich. »Die Polizei hat bestimmt Spürhunde.« Sie stellte keine weiteren Fragen, sondern ächzte nur darüber, dass sie sich ausziehen sollte. Unter anderen Umständen wäre es reizvoll gewesen, ihr zuzusehen, wie sie die Jeans herunterließ und ihren Slip abstreifte, aber das war die Geschichte meines Lebens: falscher Ort, falsche Zeit.
Ich zog mein Hemd wieder an und fröstelte, als es meine Haut berührte. Sarah war ganz damit beschäftigt, ihre Jeans mit dem Gürtel zusammenzuzurren. Ich hob ihren Slip auf und stopfte ihn mit dem T-Shirt unter den Felsblock, wo unsere Kleidungsstücke nicht auf den ersten Blick sichtbar waren. Falls wir von Spurensuchern mit Hunden verfolgt wurden, würden sie diese Stelle finden. Der Köter weiß nicht, worum es in Wirklichkeit geht und was er eigentlich sucht; für ihn ist alles nur ein Spiel. Ein Hund kann ein getragenes Kleidungsstück für den Gesuchten halten und glauben, die Suche sei siegreich beendet. Dann muss der Hundeführer ihm neue Anreize geben, damit er schließlich weitersucht, was einige Zeit dauern kann.
Hunde nehmen Gerüche auf zweierlei Weise auf: aus der
Luft und nach Kontakten mit dem Boden, mit Bäumen, Pflanzen und Gebäuden. In der Luft schwebende Gerüche halten sich nicht lange; sie werden vom Wind ziemlich rasch verweht. Bodengerüche kann ein Hund dagegen bis zu achtundvierzig Stunden lang wahrnehmen, und sie entstehen nicht nur durch Berührung von Gegenständen, sondern sogar durch Bewegungen selbst. Geht man durch Gras oder bahnt sich seinen Weg durchs Unterholz, zertritt man bei jedem Schritt Halme oder Blätter.
Selbst auf unbewachsenem Boden lässt jedes Auftreten Luft und winzige Mengen Feuchtigkeit entweichen, die in der Erde gespeichert war; dadurch riecht diese Stelle ganz anders als die Umgebungsluft. Aus diesen »Geruchsabdrücken« kann ein Hund sogar die Bewegungsrichtung erkennen, denn der vordere Abdruck ist
Weitere Kostenlose Bücher