Nick Stone - 02 - Doppeltes Spiel
gefühlt. Ich kam mir wie jemand vor, der zu einer Routineuntersuchung geht und von seinem Arzt erfährt, dass ihm ein langsamer, qualvoller Tod bevorsteht.
»Hör zu, Nick . « Ihr Tonfall klang nicht im Geringsten bedauernd. »Wir hatten einen Auftrag, den wir erfolgreich abgeschlossen haben. Das bedeutet, dass wir alle Erfolg gehabt haben. Du hast bekommen, was du wolltest - und ich natürlich auch.« Sie machte eine Pause. »Also, je intimer wir miteinander waren, desto eifriger würdest du mich beschützen, nicht wahr? Habe ich Recht?«
Ich nickte stumm. Sie hatte Recht. Ich hätte mich für sie in Stücke hauen lassen.
Bevor sie weitersprechen konnte, tat ich, was sich seit meiner Kindheit bewährt hatte: Ich blendete einfach alles aus. Ich sah sie an, als hätte ich sie nur zu einem Drink eingeladen, und sagte: »Okay, ich wollte bloß mal fragen.« Ich war noch nie so beiläufig abgefertigt worden. Am liebsten hätte ich mich dafür geohrfeigt, dass ich auch nur davon geträumt hatte, sie könnte mit mir zusammen sein wollen. Für wen zum Teufel hielt ich mich überhaupt? Ich war wirklich nicht ganz richtig im Kopf.
Kaum vier Wochen nach unserer Landung in Heathrow verließ ich meine Frau. Wir lebten nur nebeneinander her, und es kam mir schäbig vor, mit ihr zu schlafen und dabei an Sarah zu denken.
Als der Einsatz in Syrien kam, wusste ich nicht, dass Sarah daran teilnehmen würde. Wir trafen uns zum Befehlsempfang in London, diesmal in fast luxuriöser Umgebung - in Vauxhall Cross, der neuen SIS-Zentrale mit Blick über die Themse. Sarah begrüßte mich freundlich distanziert, als sei zwischen uns nie etwas vorgefallen. Aus ihrer Sicht vielleicht nicht, aber aus meiner sehr wohl. Mein Vorsatz stand fest: Ich würde mich niemals wieder von ihr oder irgendeiner anderen Frau reinlegen lassen.
Ich setzte mich auf dem Bett auf und legte den Deckel wieder auf den Schuhkarton. Das alles hatte Zeit bis später. Ich musste weiter versuchen, ein Gefühl für die Atmosphäre dieser Wohnung zu bekommen.
Ich ging in die Küche zurück, füllte Wasser und Kaffee in die Kaffeemaschine und schaltete sie ein. Dann ging ich wieder ins Wohnzimmer. Aus den Lautsprechern dröhnte noch immer die Musik der verrückten Gruppe, die sich Sperm Bank nannte.
Ich ließ mich seitlich in einen der Sessel fallen, sodass mein Rücken von einer Lehne gestützt wurde, während meine Beine über die andere hingen. Da der erste Rundgang ergebnislos geblieben war, würde ich jeden Raum einzeln unter die Lupe nehmen müssen. Irgendwo würde sich vielleicht ein winziger Hinweis, die Andeutung einer Spur entdecken lassen. Vielleicht. Bestimmt wusste ich nur, dass ich nichts finden würde, wenn ich überhastet an diese Sache heranging.
Als ich mich umsah, drifteten meine Gedanken wieder von der bevorstehenden Suche ab. Eigentlich gab es zwischen Sarah und mir zahlreiche Parallelen: Mein gesamter Besitz von der Zahnbürste bis zum Auto bestand aus Wegwerfgegenständen. Ich besaß nichts, was älter als zwei Jahre war. Kleidungsstücke kaufte ich, wenn ich sie für einen Auftrag brauchte, und warf sie weg, sobald sie schmutzig waren, sodass ich mich von Gegenständen im Wert von Hunderten von Pfund trennte, nur weil ich sie nicht mehr benötigte. Sarah hatte wenigstens ein Foto; ich besaß keinerlei Erinnerungsstücke an meine Familie, meine Schulzeit oder meinen Militärdienst - nicht einmal eine Aufnahme von Kelly und mir. Ich hatte mir immer vorgenommen, mich einmal mit ihr fotografieren zu lassen, aber irgendwie war ich nie dazu gekommen.
Als ich in die Küche zurückging, wurde mir klar, dass ich mehr an Kelly als an mich dachte. Das war schlecht, weil es mich von der Arbeit ablenkte. Ich fing an, mich ziemlich deprimiert zu fühlen. Dies würde ein verdammt langwieriger Job werden, aber wenn ich Erfolg haben wollte, musste ich streng systematisch vorgehen.
Ich goss mir eine Tasse Kaffee ein, wollte Milch aus dem Kühlschrank holen und erinnerte mich daran, dass sie längst sauer war. Da ich keine Kaffeemilch finden konnte, würde ich ihn schwarz trinken müssen. Ich nahm das Glasgefäß mit Kaffee ins Wohnzimmer mit und hörte gerade noch, wie die Gruppe Sperm Bank die letzten Noten ihres letzten Stücks spielte. Ich ließ mich wieder in einen Sessel fallen, legte die Füße auf den Couchtisch, schlürfte den heißen Kaffee und sagte mir: Du musst bloß irgendwo anfangen; bestimmt ist’s wie bei jedem anderen Job - sobald der
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