Nick Stone - 02 - Doppeltes Spiel
des großen Wohnraums war in einem etwas helleren Blau gehalten als der Teppich draußen im Korridor, damit er farblich zu der blauen Sitzgarnitur aus einem Sofa und zwei Sesseln passte. In der linken hinteren Ecke des Raums stand ein langes Sideboard mit drei Schubladen neben dem Panoramafenster mit Blick auf das mit Bäumen bestandene Bett eines der Bäche, die zum Potomac River hinunterführten. Auf der anderen Seite des Fensters sah ich ein Bücherregal, dessen vier Fächer mit HardcoverBüchern gefüllt waren. Ich blieb davor stehen und sah mir die Rückentitel an. Viel Literatur aus dem Nahen Osten und Terrorismus und die neueste Ausgabe der »World Reports« der Zeitung Economist. Ein Fach begann mit Biografien - Mandela, Thatcher (natürlich hatte sie die), Kennedy, Churchill - und endete mit einigen Romanen von Gore Vidale, mehrere Wälzer über amerikanische Geschichte und einer Gesamtausgabe von Oscar Wildes Bühnenstücken. Das unterste Fach enthielt Großbände, die flach liegend gestapelt waren. Ich erkannte The Times World Atlas, weil das einer der Titel war, die ich von einem Buchklub als Begrüßungsgeschenk erhalten hatte, als ich Nick Davidson geworden war. Die anderen Bände waren Bildbände über verschiedene Nahoststaaten und einer über die USA.
Sideboard und Bücherregal waren hell furniert, und die Wände des Wohnraums waren in einem leicht getönten Weiß gestrichen. Sarah hatte nicht den geringsten Versuch gemacht, ihrem Apartment eine persönliche Note zu verleihen. Es war so anonym wie mein Haus in Norfolk, obwohl sie immerhin ein Sofa und ein Bücherregal hatte.
Auf dem Teppichboden neben dem Sofa waren ein Dutzend Washingtoner Stadtmagazine aufgestapelt. Oben auf dem Stapel lag ein schnurloses Telefon, dessen Digitalanzeige besagte, es habe keine Nachrichten gespeichert. Die Wände waren kahl bis auf einige gerahmte Großfotos, die Washington in einer Zeit zeigten, in der JFK im Amt gewesen sein musste. Erhellt wurde der Wohnraum durch zwei Lampen: eine Stehlampe neben dem Sofa, deren Zuleitung sich über den Teppich wegschlängelte, und eine Hängelampe vor dem Bücherregal, beide mit langweiligen weißen Schirmen. Das war wieder typisch Sarah. So tüchtig sie in ihrem Beruf war, so wenig Sinn hatte sie für die Gestaltung ihrer privaten Umgebung.
Es gab keinen Fernseher, was mich nicht überraschte, weil ich wusste, dass Sarah nie fernsah. Hätte man sie nach Seinfeld und Frasier gefragt, hätte sie vermutlich auf eine New Yorker Anwaltsfirma getippt. Mein Blick fiel wieder auf das Bücherregal. Die große Glasvase im untersten Fach hatte anscheinend nie Blumen enthalten; stattdessen war sie mit Münzen und Kugelschreibern und ähnlichem Krempel gefüllt, den Leute abends in ihren Taschen vorfinden. Daneben standen Doppelkarten: aufwändig gedruckte Einladungen zu Empfängen der britischen Botschaft oder des US-Kongresses. Allein für den vergangenen Monat zählte ich sieben. Es musste schrecklich sein, zweimal in der Woche all die köstlichen Häppchen essen und ein paar Gläser Champagner kippen zu müssen.
Auf dem Sideboard stand eine stinknormale, wahrscheinlich nicht sehr teure HiFi-Mikroanlage mit CD-Player, die ihren Zweck jedoch erfüllte. Daneben waren ein gutes Dutzend CDs aufgestapelt, von denen drei noch in ihren Klarsichthüllen steckten. Sarah hatte noch keine Zeit gehabt, sie sich anzuhören - vielleicht nächste Woche. Dort lag auch ein dickes CD-Album mit fünf Opern-Gesamtaufnahmen. Ich drehte es zu mir her, um die Rückentitel lesen zu können. Eine der Opern war natürlich Cosi fan tutte - zu dem Wenigen, was ich über Sarah wusste, gehörte die Information, dass dies ihre Lieblingsoper war.
Ich sah mir die übrigen CDs an: digital überarbeitete Genesis-Aufnahmen aus den frühen Siebzigerjahren und eine CD einer Gruppe namens Sperm Bank mit einem scheußlich gestalteten, vermutlich geklauten Cover. Die würde ich mir anhören müssen, weil sie so aus dem Rahmen fiel. Sarah und ich hatten uns nie viel über Musik unterhalten, aber ich wusste, dass sie Opern liebte - während ich irgendwelche Sachen im Radio hörte und mir immer nur vornahm, sie zu kaufen, wenn sie mir gefielen.
Die Anlage lief noch im Standby-Betrieb. Ich öffnete das CD-Fach, legte Sperm Bank ein und drückte auf den Abspielknopf. Aus den Lautsprechern kam ein verrückter tahitischer Rap/Jazz/Funk - ziemlich laut, aber auch sehr rhythmisch. Ich drehte die Musik noch etwas lauter auf, um
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