Nick Stone - 02 - Doppeltes Spiel
wirklich etwas davon zu haben, und kam mir sehr hip vor. Ein bisschen Musik konnte nicht schaden, denn die Aussichten, dass Sarah unerwartet zurückkam, waren gleich null.
Nachdem ich mich flüchtig im Wohnzimmer umgesehen hatte, nahm ich mir die Küche vor. Sie war klein, kaum größer als zweieinhalb mal drei Meter, und die beiden Seitenwände verschwanden völlig hinter Einbaumöbeln, sodass in der Mitte nur ein zum Fenster führender Gang frei blieb. Kühl- und Gefrierschrank, Elektroherd, Mikrowelle und Spülbecken waren alle eingebaut.
Ich sah in die Hängeschränke über den Arbeitsplatten, um mir eine Vorstellung davon zu verschaffen, wie diese Frau lebte. Das hatte kaum mehr etwas mit meinem Auftrag zu tun, sondern ich war einfach neugierig darauf, eine bisher unbekannte Seite von Sarah zu sehen. In den Schränken standen Tee, Kaffee und einige Gewürze, aber außer Reis und Nudeln kaum Lebensmittel. Das hatte ich nicht anders erwartet. An den wenigen Abenden, an denen sie nicht auf Empfängen repräsentierte oder in Restaurants eingeladen war, begnügte sie sich vermutlich mit Tiefkühlkost aus der Mikrowelle.
Ich öffnete den nächsten Schrank, der von allem ein halbes Dutzend enthielt: jeweils sechs große und kleine Teller, sechs Suppenteller, sechs Tassen mit Untertassen, sechs Gläser - wieder der Unterkunfts-Set für Diplomaten. Über zwei Drittel dieses Schranks waren leer. Der Kühlschrank enthielt nur eine halb leere Milchtüte, deren Inhalt verdächtig roch, eine ungeöffnete Packung Bagels und ein angebrochenes Glas Erdnussbutter. Nicht gerade eine Feinschmeckerin, unsere Sarah. In meinem Kühlschrank hatte ich wenigstens noch etwas Käse und Jogurt.
Das Bad lag zwischen Küche und Schlafzimmer. Es gab keine Wanne, nur Dusche, Waschbecken und WC. In dem kleinen Raum sah es so aus, als sei sie wie gewöhnlich aufgestanden, habe sich rasch zurechtgemacht und sei dann eilig zur Arbeit gefahren. Auf dem Boden lag ein achtlos hingeworfenes Handtuch neben dem Korb für Schmutzwäsche, der Jeans, Unterwäsche und Strumpfhosen enthielt. Ich sah nirgends eine Waschmaschine, hatte aber auch keine erwartet. Sarah würde ihr Zeug waschen lassen, um es frisch gebügelt und nach Weichspüler duftend zurückzubekommen.
Das Schlafzimmer war ohne den begehbaren Kleiderschrank ungefähr viereinhalb mal sechs Meter groß, aber die einzigen Möbel in diesem Raum waren ein riesiges französisches Bett und eine auf dem Teppichboden stehende Nachttischlampe. Die Steppdecke war zurückgeschlagen, als sei Sarah eben aufgestanden. Die reinweiße Bettwäsche passte genau zu den ebenfalls weißen Wänden. Auf dem Bett lagen zwei Kopfkissen, von denen aber nur eines benutzt zu sein schien. Auch hier hingen keine Bilder an den Wänden, und die Jalousien der beiden Fenster waren geschlossen. Sarah musste eilig aufgestanden und zur Arbeit gefahren sein - oder ihr Schlafzimmer hatte immer so ausgesehen.
Der begehbare Kleiderschrank hatte mit Spiegeln verkleidete Schiebetüren. Ich öffnete sie und erwartete, den schwachen Parfümduft einer Frauengarderobe wahrzunehmen, roch zu meiner Überraschung nichts davon und sah sofort, woran das lag. Die zwei Reihen teurer Klamotten steckten alle in Plastikhüllen, wie chemische Reinigungen sie verwenden; sogar ihre Blusen und T-Shirts hingen auf Bügeln. Aus Neugier sah ich mir ein paar Etiketten an und fand Armani, Joseph, Donna Karan und weitere Nobelmarken. Auf der Ablage über den Kleiderstangen sah ich ebenso teures Reisegepäck, zwischen dem keine auffälligen Lücken zu erkennen waren.
Unter einem beleuchteten Wandspiegel stand ein kleiner Wäscheschrank mit fünf oder sechs Schubladen. Die oberste stand offen; ich sah hinein und stellte fest, dass sie BHs und Slips enthielt, die ebenfalls sehr teuer aussahen. Ihre unglaublich vielen Schuhe standen in zwei ordentlichen Reihen an der rechten Schrankwand: elegante Pumps zur Abendgarderobe, Sandalen, Sommerschuhe, Winterstiefel und ein Paar Sportschuhe.
Links auf dem Schrankboden stand ein alter Schuhkarton. Ich bückte mich und nahm den Deckel ab. Obenauf lag eine Karte mit Picassos berühmter Friedenstaube, dann kamen alte Geburtstags- und Weihnachtskarten. Als ich sie durchblätterte, entdeckte ich ein Foto, das Sarah vor einem bewaldeten Hintergrund mit einem großen, gut aussehenden Mann zeigte, der ihr einen Arm um die Schultern gelegt hatte. Beide trugen Trekkingkleidung und lachten fröhlich in die Kamera. Der Mann
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