Nick Stone - 03 - Verbrannte Spuren
Spucken. Den Reißverschluss bekam ich nur halb zu, weil meine vor Kälte starren Finger immer wieder von der kleinen Metallzunge abrutschten. Schließlich gab ich auf und hielt die obere Hälfte einfach nur zusammen.
Ich versuchte mein Gehirn wieder in Gang zu setzen, indem ich die Jackentaschen kontrollierte. Natürlich war das zwecklos, denn die beiden Kerle hatten sie ausgeräumt und meinen Reisepass auf den Namen Davidson und das eingewechselte Geld mitgenommen. Sich darüber zu ärgern, lohnte sich nicht; dadurch bekam ich mein Eigentum nicht zurück. Wichtiger war, ob ich das Zeug in meinen Socken noch hatte. Ich tastete mit vor Kälte tauben Finger in meinen Stiefeln herum und berührte den Packen Dollarscheine. Noch überraschender war, dass ich meinen Leatherman noch am Gürtel hatte. Vielleicht waren die beiden nicht so clever gewesen, wie ich gedacht hatte, oder ein Leatherman ließ sich nur in der Originalverpackung gut verkaufen.
Sobald ich mich zuerst hingekniet und dann aufgerichtet hatte, rappelte ich mich langsam auf, indem ich mich an der Mauer aus Hohlblocksteinen hochzog. Ich wollte in Gang kommen, ein Hotel finden und mich aufwärmen; vielleicht konnte ich den Morgenzug noch erreichen. Oder war es vielleicht schon Morgen? Ich hatte keine Ahnung.
Ich bekam einen Anfall von Schüttelfrost. In den Jackentaschen nach meinen Handschuhen zu suchen, war eine dämliche Idee - die hatten die beiden natürlich auch mitgenommen. Ich musste zusehen, dass ich mich bewegte, damit mir warm wurde.
Eiskalte Luft blies mir ins Gesicht, als ich aus dem Eingang ins Freie trat. Von der Ostsee her wehte ein frischer Wind. Um wach zu werden, hüpfte ich mit den Händen in meinen Jackentaschen in der Dunkelheit auf der Stelle auf und ab, verlor aber bald das Gleichgewicht.
Als ich tief durchzuatmen versuchte, brannte die eiskalte Luft in Nase und Rachen. Ich setzte meine Aufwärmübungen fort, aber sie waren mehr ein Schlurfen als ein Springen.
Da ich Mütze und Handschuhe eingebüßt hatte, vergrub ich meinen Kopf im Kragen der Jacke und die Hände tief in den Jackentaschen. Ich suchte mir einen Weg durch kleine Schneehaufen, unter denen sich, wie sich bald zeigte, Stahlbetonbrocken mit nach allen Richtungen wegstehenden Rundeisen verbargen. Ich ließ mir Zeit, denn ich wollte mir nicht noch den Knöchel verstauchen, was bei meinem heutigen Pech durchaus wahrscheinlich war.
Allmählich wurden meine Hände so warm, dass ich den Reißverschluss hochziehen konnte, und sobald die Daunenjacke geschlossen war, begann ich die Wärme zu spüren. Auf der Straße 60 bis 70 Meter links von mir fuhr langsam ein Auto vorbei. Vor mir sah ich in etwa 300 Metern Entfernung das verschwommene blau-weiße Leuchten einer Tankstelle. Ich bückte mich, ließ mir dabei Zeit, um nicht wieder das Gleichgewicht zu verlieren, schnürte meinen Stiefel auf und holte einen Zwanzigdollarschein heraus.
Nachdem ich mich davon überzeugt hatte, dass mein übriges Geld sicher verstaut war, stolperte und rutschte ich auf den blau-weißen Lichtschein jenseits der Bäume zu. Mein Zustand hatte sich etwas gebessert, aber ich wirkte bestimmt noch wie betrunken und kam mir auch so vor - wie ein Kerl, der alles im Griff zu haben glaubt, aber in Wirklichkeit undeutlich spricht und über die eigenen Füße fällt. Andererseits war mir scheißegal, was die Leute in der Tankstelle von mir halten würden; ich hoffte nur, dass es dort Essen und heiße Getränke geben und jemand mir den Weg zum nächsten Hotel erklären würde.
Ich stolperte weiter, rutschte immer wieder auf Eisplatten aus und hielt dabei ständig Ausschau nach meinen neuen Freunden oder anderen, die auf die Idee kommen konnten, einem besoffenen Touristen zu folgen und ihn um ein paar Dollar zu erleichtern.
Während ich an einen Baumstamm gelehnt kurz rastete, dämmerte mir, dass es sehr schwierig, vielleicht sogar unmöglich sein würde, ein Hotelzimmer zu bekommen. Hierzulande würde jedes Hotel darauf bestehen, dass ich bei der Anmeldung meinen Reisepass vorlegte. Die Russen waren fort, aber sie hatten Estland ihre Bürokratie hinterlassen. Ich konnte schlecht behaupten, ich hätte meinen Pass im Auto vergessen. In welchem Auto? Dazu kam eine weitere Überlegung: Ich wusste nicht, ob die Polizei stichprobenartige Kontrollen durchführte oder die Hotels verdächtige Personen melden mussten - zum Beispiel einen offenbar betrunkenen Ausländer, der sich nicht ausweisen konnte und mit
Weitere Kostenlose Bücher