Nick Stone - 03 - Verbrannte Spuren
ihre Karten sehen konnten.
Da mir niemand einen Stuhl anbot, trat ich ans Fenster, um nach draußen zu sehen. Das alte Parkett knarrte bei jedem meiner Schritte. Die Kartenspieler, die jetzt hinter mir saßen, murmelten unverständliche Worte, während sie weiterspielten.
Was hier vorging, war leicht zu erkennen. An diesem Ende des Raums standen zwei elektronische Apothekerwaagen unter einem Tisch. Neben ihnen waren etwa ein Dutzend Tupperware-Behälter gestapelt, von denen einige ein weißes Pulver enthielten, das bestimmt kein Mehl war, während andere mit dunkelbraunen, fast schwarzen Pillen gefüllt waren, die wiederum keine Smarties waren.
Genau unter dem Fenster lag die Viru, auf der schmutziger Schnee und Eis überquellende Mülltonnen bedeckten. An einer Hausecke lagen drei räudige Katzen um einen Gully versammelt bewegungslos im Schnee und warteten darauf, dass ihr Dinner in schwarzem Pelz zum Vorschein kam.
Über den Rand der Schlucht hinweg war zu sehen, dass beide Flussufer vereist waren, aber im mittleren Drittel wälzte sich ein träger, mit Eisschollen und Müll beladener Strom der ungefähr zwölf Kilometer entfernten Ostsee zu. Weiter flussaufwärts war die Brücke noch immer von Fahrzeugen und Fußgängern verstopft.
Ich drehte mich wieder in den Raum um. Obwohl er überheizt war, verzehrte ich mich nach einem heißen Kaffee. Das einzige Getränk, das ich hier sah, war eine Flasche Johnny Walker auf dem Tisch, die von den Kartenspielern geleert wurde. Alle drei hatten ihre schwarzen Lederjacken über ihre Stuhllehnen gehängt.
Sie hatten offenbar zu viele Gangsterfilme gesehen, denn sie trugen einheitlich schwarze Hosen und schwarze Rollkragenpullover und hatten an Fingern und Handgelenken genug Gold, um damit Estlands Staatsschulden zu tilgen.
Das Ganze erinnerte an eine Szene aus GoodFellas. Auf dem Tisch vor ihnen lagen Marlboro- und Camelpackungen, auf jeder ein sorgfältig ausgerichtetes goldenes Feuerzeug. Ich achtete darauf, sie meine Armbanduhr mit dem König der Löwen nicht sehen zu lassen. Sie sollten nicht anfangen, sich über mich lustig zu machen, denn vielleicht war ich später darauf angewiesen, dass sie mich ernst nahmen. Eine grinsende Disney-Figur an meinem Handgelenk würde nicht gerade dazu beitragen, dass sie das taten.
Ich sah zu dem Fernsehglotzer hinüber, der sein Feuerzeug anknipste, sich eine zwischen Daumen und Zeigefinger gehaltene Zigarette anzündete und sich dann wieder mit dem Ellbogen auf den Knien eine amerikanische Seifenoper reinzog. Das Verrückte war, dass der englische Dialog beibehalten war; erst nachdem die Schauspieler ausgeredet hatten, folgte die russische Synchronisation. Gesprochen wurde völlig leidenschaftslos: Eine Frau, die mehr Make-up als Eddie Izzard trug, schmachtete: »Aber ich liebe dich,
Fortman!«, dann übersetzte eine russische Stimme das, als kaufe sie auf dem Markt ein Kilo Kohl. Mir wurde plötzlich klar, wo Acht sein Englisch und seinen Kleidungsstil herhatte.
Dann ging die Tür auf, und er kam wieder herein. »Jo,
Nikolai!« Er hatte die Bomberjacke ausgezogen und trug ein rotes Sweatshirt, auf dem Bart Simpson einen anderen Jungen, der die Fäuste voll Dollarscheine hatte, mit einem Karatetritt niederstreckte. Darunter stand Just take it! Um den Hals trug Acht eine schwere Goldkette, auf die jeder Rapper stolz gewesen wäre.
Er trat zu mir ans Fenster. »Nick, ich habe den Auftrag bekommen, dir zu helfen. Weil ich - hey, crazy, Mann! - der Einzige bin, der hier englisch spricht.« Er trat von einem Sportschuh auf den anderen, während er in die Hände klatschte. Die GoodFellas starrten ihn kurz an, als sei er übergeschnappt, dann spielten sie weiter.
»Worsim, ich brauche ein Auto.«
»Auto? Puh, könnte ein Problem sein, Mann.«
Ich erwartete beinahe, nach seiner Antwort eine schlechte russische Synchronisation zu hören. Er wandte sich an die GoodFellas, sprach rasend schnell mit ihnen und schien fast zu betteln. Der älteste Spieler, ein Kerl Anfang fünfzig, sah nicht von seinem Blatt auf, antwortete aber sehr aggressiv, als hätte er statt Johnny Walker Essigsäure getrunken. Ich erriet, was er sagte: »Weißt du, was du dem Briten von uns bestellen kannst? Fuck offski!« Ich überlegte, ob ich meine Versicherungspolice vorlegen sollte, ließ es aber doch lieber. Vielleicht brauchte ich sie später dringender.
Einer der anderen Kartenspieler hatte eine Idee: Er zeigte erst auf Acht, dann auf mich und machte
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