Nick Stone - 03 - Verbrannte Spuren
betrunken und kam mir auch so vor – wie ein Kerl, der alles im Griff zu haben glaubt, aber in Wirklichkeit undeutlich spricht und über die 444
eigenen Füße fällt. Andererseits war mir scheißegal, was die Leute in der Tankstelle von mir halten würden; ich hoffte nur, dass es dort Essen und heiße Getränke geben und jemand mir den Weg zum nächsten Hotel erklären würde.
Ich stolperte weiter, rutschte immer wieder auf
Eisplatten aus und hielt dabei ständig Ausschau nach meinen neuen Freunden oder anderen, die auf die Idee kommen konnten, einem besoffenen Touristen zu folgen und ihn um ein paar Dollar zu erleichtern.
Während ich an einen Baumstamm gelehnt kurz
rastete, dämmerte mir, dass es sehr schwierig, vielleicht sogar unmöglich sein würde, ein Hotelzimmer zu
bekommen. Hierzulande würde jedes Hotel darauf
bestehen, dass ich bei der Anmeldung meinen Reisepass vorlegte. Die Russen waren fort, aber sie hatten Estland ihre Bürokratie hinterlassen. Ich konnte schlecht behaupten, ich hätte meinen Pass im Auto vergessen. In welchem Auto? Dazu kam eine weitere Überlegung: Ich wusste nicht, ob die Polizei stichprobenartige Kontrollen durchführte oder die Hotels verdächtige Personen melden mussten – zum Beispiel einen offenbar betrunkenen Ausländer, der sich nicht ausweisen konnte und mit Dollars zu zahlen versuchte. Ein deprimierender
Gedanke, aber dieses Risiko durfte ich nicht eingehen.
Als ich in Richtung Tankstelle weiterstolperte, kam ich der Straße näher. Auf ihr herrschte um diese Zeit kein Verkehr, aber in der Ferne waren gelegentlich
Autoscheinwerfer zu sehen und die Geräusche zu hören, die Autoreifen machten, wenn sie über Kopfsteinpflaster 445
rollten. In weiten Abständen aufgestellte Straßenlampen beleuchteten vom Wind aufgewirbelten Schnee, der
einfach in der Luft zu hängen schien.
Bis zur Straße, die an der Tankstelle vorbeiführte, hatte ich noch ungefähr 30 Meter über Schnee und Eis zurückzulegen. Was mich drinnen erwartete, wusste ich nicht, aber von außen sah sie wie irgendeine Tankstelle in Westeuropa aus. Tatsächlich war sie fast zu neu und modern, um mitten in einem so heruntergekommenen
Stadtteil zu stehen.
Ich stolperte über die Straße. Auch sie war gepflastert, aber dieses Pflaster hatte kaum Ähnlichkeit mit
finnischem Straßenpflaster: Es war alt, wies zahlreiche Risse auf und war vielfach lückenhaft, sodass alle paar Meter mit Eis gefüllte Schlaglöcher gähnten.
Im grellweißen Licht unter dem Tankstellendach
trampelte ich den Schnee von meinen Stiefeln, um
anständiger auszusehen, und tat so, als hätte ich meine Brille verloren, während ich mich in Wirklichkeit davon überzeugte, dass ich einen Zwanziger in der Hand hielt.
Ich wollte nicht riskieren, mit 50 oder 100 Dollar aufzukreuzen; so viel Geld konnte mir hier einen Schlag über den Schädel einbringen.
Der Wind heulte um die Zapfsäulen, als ich durch die Automatiktür ging. Ich betrat eine neue Welt: warm und sauber, mit reichhaltigem Warenangebot, das genau wie in jedem anderen europäischen Tankstellenshop vor mir ausgebreitet war. Im ersten Augenblick fragte ich mich, ob ich etwa Halluzinationen hatte. Hier gab es alles, von Motorenöl bis zu Keksen und Brot, aber vor allem ganze 446
Paletten Dosenbier und ein Stapel von Bierträgern neben dem Schnapsregal. Leider fehlte etwas, worauf ich gehofft hatte: Kaffeeduft. Heiße Getränke schien es hier nicht zu geben.
Zwei junge Männer Anfang zwanzig, die sich in ihren rot-weiß gestreiften Westen und Schiffchen vermutlich affig vorkamen, sahen hinter der Kassentheke auf und lasen dann ihre Zeitschriften weiter. Sie wirkten an diesem Morgen nicht besonders helle, während sie
rauchten und in der Nase bohrten, aber ich sah selbst nicht gerade wie Tom Cruise aus.
Ich wankte die Regale entlang, nahm eine Hand voll Schokoriegel mit und klaubte einige in Schrumpffolie verpackte Wurst waren aus der Kühltheke. Obwohl ich vielleicht nicht gerade hellwach war, wusste ich, dass mein Körper dringend kalorienreiche Nahrung brauchte.
Die beiden starrten mich an, als ich meine Einkäufe auf die Theke plumpsen ließ, und ich brauchte ein paar Sekunden um zu merken, dass ich sichtbar schwankte.
Ich stützte mich mit zwei Fingern von der Theke ab, um mich zu stabilisieren, und grinste die jungen Männer breit an. »Kann einer von euch Englisch?«
Der Pickelige sah meinen Zwanzigdollarschein.
»Amerikaner?«
»Nein, nein Australier.«
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