Nick Stone - 03 - Verbrannte Spuren
der seine große Reisetasche hastig vom Sitz nehmen musste, bevor ich drauffiel, schüttelte wissend den Kopf, als kenne er diesen Zustand aus eigener Erfahrung. Er schnippte seine Zigarettenasche aufs Deck und schwatzte weiter mit seinem Nachbarn, bevor beide etwas von mir 435
abrückten. Ich stank anscheinend ziemlich.
Während ich eine Melodie zu summen versuchte, um
den seekranken Betrunkenen überzeugend zu mimen,
beschloss ich meinen Rucksack abzunehmen. Es wirkte bestimmt lächerlich, wenn ich ihn sitzend auf dem Rücken behielt. Nach vorn zusammengesunken und mit schwammig kraftlosen Fingern, die mir nicht gehorchen wollten, schaffte ich nicht einmal, die Tragegurte zu lösen. Nachdem ich längere Zeit mit ihnen gekämpft hatte, gab ich einfach auf und lehnte mich wieder zurück.
Aus den Deckenlautsprechern kamen plärrend laute
Durchsagen. Um mich herum drehte sich alles. War die Rede von mir? Wurden Zeugen aufgerufen, sich zu
melden?
Mein Nachbar stand auf, sein Freund ebenfalls. Die beiden fingen an, ihr Gepäck zusammenzusuchen. Wir mussten angelegt haben.
Plötzlich setzte eine Völkerwanderung von Fahrgästen ein, die sich alle in die gleiche Richtung bewegten. Ich musste einfach versuchen, in diesem Strom
mitzuschwimmen. Ich folgte den beiden Esten und
torkelte in der Menge mit. Alle Leute schienen reichlich Abstand von mir zu halten. Ich wusste nicht, wohin ich unterwegs war, aber das war mir egal, wenn ich nur von Bord kam.
Mein Verstand war halbwegs klar, aber mein Körper weigerte sich, seine Befehle auszuführen. Ich rempelte einen Finnen an und entschuldigte mich in undeutlichem Englisch. Er starrte mich aggressiv an. Ich konzentrierte mich darauf, bei der Herde zu bleiben und meinen
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Rucksack auf dem Rücken zu behalten. Ich wollte nur von Bord gehen und irgendwo ein Versteck finden, in dem ich bleiben konnte, bis die Wirkung der injizierten Drogen abgeklungen war.
Ich folgte Leuten mit Kinderwagen und Tragetaschen, stolperte eine überdachte Gangway hinunter und stellte mich zur Passkontrolle an. Die Beamtin sagte nichts, als sie in meinem Reisepass blätterte. Ich schwankte und grinste, während sie mich musterte – vermutlich
angewidert – und dann eine der Seiten stempelte.
Nachdem es mir beim zweiten Versuch gelungen war, den Pass vom Schalter zu nehmen, stolperte ich durchs Fährterminal weiter und konzentrierte mich ganz darauf, den Reisepass auch wirklich wieder in die Innentasche meiner Jacke zu stecken.
Im Freien zerrte ein eisiger Wind an meiner Jacke, als ich über einen verschneiten Parkplatz torkelte. Der gesamte Platz war strahlend hell beleuchtet; die meisten Wagen waren eingeschneit, und von einigen wurde Eis abgekratzt, während übervolle Tragetaschen in Autos gezwängt wurden, deren Auspuffgase die Winterluft verpesteten.
Hinter mir sah ich die obere Hälfte der Fähre jenseits des Terminals aufragen und hörte das metallische
Rumpeln der Autos und Lastwagen, die von Bord fuhren.
Unmittelbar vor mir herrschte Dunkelheit, aber in weiter Ferne waren einige sehr verschwommene Lichter zu
erkennen. Dorthin musste ich, denn ich brauchte ein Hotel.
Ich torkelte gegen die in der letzten Reihe geparkten 437
Wagen, erreichte den Rand des Parkplatzes und hatte dort eine weite unbebaute Schneefläche vor mir.
Mehrere dunkel ausgetretene Trampelpfade führten auf die Lichter in der Ferne zu. Weit rechts von mir rollte eine Kolonne von Autoscheinwerfern, die bis zur Fähre zurückreichte, in die selbe Richtung. Ich begann einem Trampelpfad zu folgen, fiel aber schon nach wenigen Schritten hin und tat mir dabei nicht einmal weh.
Ich rappelte mich wieder auf, stolperte weiter und befand mich bald in völliger Dunkelheit unter kahlen Bäumen. Links von mir ragte ein verfallenes großes Lagerhaus auf. Während ich an einen Baum gelehnt
rastete, fixierte ich die Lichter, denen ich schon ziemlich näher gekommen war, und hörte Verkehrsgeräusche und leise Musik. Das stimmte mich optimistischer. Ich stieß mich von dem Baum ab und torkelte weiter.
Ich sah nicht einmal, woher die Jungen kamen.
Ich spürte nur, wie zwei Paar Hände mich packten und zu dem verfallenen Gebäude hinüberschleppten. In der Dunkelheit sah ich keine Gesichter, sondern nur die Glut der Zigarette, die einer von ihnen im Mundwinkel hatte.
Meine Füße schleiften hilflos über den Erdboden, als die Angreifer mich durch den hart gefrorenen Schnee
schleppten, der unter ihren Stiefeln
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