Nick Stone - 03 - Verbrannte Spuren
– von Stadtplänen bis zu Hotelansichten, vom Veranstaltungskalender bis zu Vorverkaufsstellen. Es gab sogar einen Routenplaner mit der Möglichkeit, wie in einem Computerspiel die ausgewählte Straße
entlangzugehen. Ich ließ unsere Reisetaschen bei Tom, setzte mich wieder an den Tisch, trank noch einen Kaffee, wartete, sah gelegentlich zu Tom hinüber und überlegte mir, dass ich Glück gehabt hatte, weil ich als Jugendlicher keinen kleineren Bruder mit mir hatte herumschleppen müssen.
Eine Viertelstunde später kam er mit den Reisetaschen an meinen Tisch. Anscheinend war ihm das Geld
ausgegangen. »Ich habe Janice eine E-Mail geschickt und ihr mitgeteilt, dass ich mich ein paar Tage lang nicht mehr melden kann – wegen praktischer Erprobung im Bergland und so weiter.«
Ich steckte den Terminplaner wieder in meine
Reisetasche und trank meinen Kaffee aus. »Komm, wir gehen«, forderte ich Tom auf. »Unser Abholer müsste inzwischen da sein.«
Tatsächlich war er leicht zu finden: ein muskulöser Typ mit rotem Gesicht und hellbraunem
Bürstenhaarschnitt, der in einem gut geschnittenen grauen Anzug an der Automatiktür stand, durch die 207
Flugreisende ihre Gepäckkarren ins Ankunftsgebäude schoben. Er hielt ein Schild hoch, auf dem mit Filzstift Nick und Begleiter geschrieben war.
Wir gingen zu ihm und nannten unsere Namen. Als
wir uns die Hand gaben, nahm er Haltung an und schlug praktisch die Hacken zusammen. Dann erbot er sich, unser Gepäck zu tragen. Tom lehnte erst dankend ab, als ich ihn anstieß.
Der Platz für Kurzzeitparker lag gegenüber dem
Ankunftsgebäude. Als wir auf einen silbergrauen
Mercedes zugingen, röhrte ein startendes Flugzeug über uns hinweg. Tom war beeindruckt. »Echt klasse.«
Wir stellten unsere Reisetaschen in den Kofferraum und stiegen hinten ein. Als Bürste den Motor anließ, plärrte das Autoradio los. Ich dachte, die beiden Moderatoren sprächen finnisch, aber Tom sah mich an.
»Das ist Lateinisch. Darauf stehen sie hier, Kumpel.
Weiß nicht, warum, aber sie tun’s einfach.«
Bürste stellte das Radio ab.
»Woher weißt du so viel über Finnland?«, fragte ich Tom.
»Bin gestern Abend im Internet gewesen und hab’s
mir angesehen, weißt du?«
»Willst du mich die ganze Woche lang mit solchem
Scheiß langweilen?«
Er war zunächst gekränkt, dann beschloss er, die Sache als Scherz aufzufassen, und grinste. »Nö, Kumpel, ich dachte bloß, das würde dich interessieren.«
Tom lehnte sich in die Lederpolster zurück. Er
täuschte sich; das war kein Scherz gewesen.
208
Wir verließen das Flughafengelände. Die
Straßenschilder waren nicht nur finnisch, sondern auch schwedisch beschriftet, weil Finnland früher unter schwedischer – und teilweise auch unter russischer –
Herrschaft gestanden hatte. Die Autobahn war
vorbildlich schnee- und eisfrei.
Da der Flughafen nicht weit außerhalb von Helsinki lag, erreichten wir bald die Ringautobahn. Auf beiden Seiten waren hinter hohen Schneewällen niedrige
Industriebauten zu sehen. Ich musste lächeln, als ich an Großbritannien dachte, wo ein paar Schneeflocken den gesamten Verkehr zum Erliegen brachten; hier lag
monatelang Schnee, und das Land funktionierte wie gewohnt weiter.
Ich sah einen Wegweiser, auf dem St. Petersburg 381
km stand. In drei bis vier Stunden hätten wir aus einer der reichsten und modernsten Städte der Welt in eine
Großstadt gelangen können, in der Anarchie und Chaos herrschten. Aber wir brauchten uns keine Sorgen zu machen: Der Mercedes folgte einer Abzweigung, die uns auf die Autobahn E 75 brachte, und ließ die ohnehin nur spärlich bebauten Außengebiete Helsinkis hinter sich.
Der über dem Instrumentenbrett angebrachte kleine Autokompass zeigte mir, dass wir nach Norden
unterwegs waren. Alle Autos fuhren auch tagsüber mit Licht; das war in Finnland Vorschrift.
Wir rollten in entspanntem Reisetempo über die
Autobahn, durchquerten verschneite Kiefernwälder und kamen durch imposante Einschnitte zwischen gewaltigen Granitformationen. Ich sah zu Tom hinüber, der mit 209
geschlossenen Augen in seiner Ecke lehnte und die Hörer seines Walkmans in den Ohren hatte. Ich beschloss, mich seinem Beispiel folgend ebenfalls zu entspannen, behielt aber die Wegweiser im Auge. Lahti und Mikkeli
schienen mögliche Ziele zu sein, und nach knapp einer Stunde war klar, wohin wir unterwegs waren. Wir
nahmen die Ausfahrt Lahti.
Die Stadt wurde von zwei rot-weißen, sehr
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