Nick Stone - 03 - Verbrannte Spuren
Stimme
einer Frau in mittleren Jahren. »Hallo, was kann ich für Sie tun, Schätzchen? Möchten Sie hören, welche Dienste wir zu bieten haben?«
Ich spielte den verlegenen Freier, während die
Haushälterin aufzählte, was es kosten würde, eine halbe Stunde mit Susie in Frankreich, Griechenland und
verschiedenen anderen Ländern der Welt zu verbringen.
Um das Gespräch zu verlängern, fragte ich, wo Susie zu finden sei, und ließ mir den Weg zu ihrer Adresse in der Nähe des Bahnhofs Paddington beschreiben.
»Großartig«, sagte ich. »Ich werde darüber
nachdenken.«
Ich hängte den Hörer ein, griff nach meiner
Reisetasche, schob den Stuhl zurück, stand auf und ging in Richtung Treppe davon, während die junge Frau ihrer Mutter versicherte, dies sei hundertprozentig das letzte Mal, dass sie die Kleine vom Kindergarten abholen müsse.
An der Treppe überzeugte ich mich mit einem kurzen Blick davon, dass das Pillendöschen unter der
Schreibplatte nicht zu sehen war und ging in die
Hotelhalle hinauf. Gunga Din zeigte seinen Trick mit der Drehtür, und ich war wieder auf der Straße. Ich wandte mich nach rechts und ging in Richtung Hotel Selfridges davon. Bald würde es dunkel werden; Sonnenuntergang war um 16.30 Uhr.
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Nun musste ich nur noch um 19 Uhr Tom anrufen und ihm sagen, wann und wo wir morgen abfliegen würden; anschließend würde ich meine Ledermontur in irgendeine Abfalltonne stopfen und meine Pistole in die größte Waffenkammer Londons – die Themse – werfen.
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Sonntag, 12. Dezember 1999
15
Tom stand in einer anderen Schlange vor der
Passkontrolle. Ich hatte ihm freundlich, aber bestimmt erklärt, er müsse sich bis nach Pass- und Zollkontrolle von mir fern halten – aus Sicherheitsgründen und so. Er redete zu viel und sprach zu laut, als dass ich im Flugzeug neben ihm hätte sitzen wollen. Wir hatten sogar einzeln eingecheckt. Tom hatte alles bereitwillig akzeptiert: »Kein Drama, Kumpel. Schon kapiert.«
In der U-Bahn nach Heathrow hatte er mir erzählt, Janice habe nichts gegen seine Reise einzuwenden. »Ich hab ihr erzählt, dass mein alter Kumpel Nick ein bis zwei Wochen Arbeit für mich in Schottland hat«, sagte er.
»Ich hab’s ihr ganz offen gesagt.«
Von Offenheit konnte natürlich keine Rede sein.
Janice war vermutlich stinksauer, weil er sich zwei Wochen lang in Schottland amüsierte, während sie sich weiter damit abplagte, Karten für Lucy zu küssen. Ich hätte gern gewusst, ob er ihr von seinem zu erwartenden Reichtum erzählt hatte, fragte aber lieber nicht danach.
Ich wollte nicht, dass er wieder mit seinen Plänen für die Weltherrschaft auf dem IT-Sektor angab.
Wenigstens hatte er nicht versucht, sich im Flugzeug in kostenlosem Alkohol zu ertränken. Er schien
überhaupt trocken zu sein, was ein Nebenprodukt seiner abgesessenen Haftstrafe sein mochte. Das war nur gut, 202
denn es würde keinen Alkohol mehr geben, bis wir
wieder in England waren.
Tom hatte sich sogar Mühe gegeben und sich für den Flug etwas präsentabel gemacht, was gut war. Ich wollte, dass er wie ein durchschnittlicher Reisender aussah, nicht wie jemand, den die Zollbeamten gleich herauswinken würden, um ihn gründlich zu filzen. Er trug weiter meine Daunenjacke, aber er hatte die ausgestellten Jeans gegen neue, konventionell geschnittene Jeans vertauscht, zu denen er ein neues rotes Sweatshirt trug. Aber er hatte noch immer dieselben Segeltuchschuhe an den Füßen, und obwohl er sich die Haare gewaschen hatte, war er weiter unrasiert.
Jetzt beobachtete ich, wie er nervös seine
Jackentaschen abklopfte. Dies war das dritte Mal seit dem Start in London, dass ich sah, dass er nicht mehr wusste, wo er seinen Pass hingesteckt hatte.
Nach der Pass- und Zollkontrolle brauchten wir nicht auf Koffer zu warten. Ich hatte Tom gesagt, er solle wie ich nur eine kleine Reisetasche mit etwas Wäsche und Toilettensachen als Kabinengepäck mitnehmen.
Die Automatiktüren öffneten sich und entließen uns einzeln ins Ankunftsgebäude. Tom ahnte nichts davon, aber vorerst war niemand da, der uns abholen würde. Wir waren nicht mit der Maschine um 15.15 Uhr gekommen, wie ich Liv angekündigt hatte, sondern schon mit der um 13.45 Uhr eingetroffen. Ich war immer gern etwas früher da, um beobachten zu können, wer vielleicht auf mich wartete. Ein Ankunftsgebäude zu betreten, um von
Unbekannten abgeholt zu werden, war mir ähnlich
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unangenehm wie an eine fremde Tür zu klopfen, ohne
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