Nick Stone - 03 - Verbrannte Spuren
ging.
»Natürlich«, sagte sie lächelnd. »Ich habe nie
Schwierigkeiten damit, Informationen auf ein Minimum zu beschränken. Andererseits weiß ich aus Erfahrung, dass es oft besser ist, in Bezug auf wichtige Dinge die Wahrheit zu sagen. Wer weiß, vielleicht könnte es Tom sogar nützen, von der Maliskija – und dem Geld – zu wissen, statt erst später davon zu erfahren? Lügen können so verwirrend und kontraproduktiv sein, aber das brauche ich Ihnen bestimmt nicht zu erzählen, nicht wahr?«
Obwohl das vermutlich keine rein rhetorische Frage war, dachte ich nicht daran, sie wahrheitsgemäß zu 228
beantworten. Ich zuckte mit den Schultern.
Sie beugte sich nach vorn, um das Buch vom
Couchtisch zu nehmen, und als sie sich wieder
zurücklehnte, glitt der seidene Morgenmantel von ihren Oberschenkeln. Ich bemühte mich, nicht hinzusehen, aber das wäre doch zu viel verlangt gewesen. Liv war eine der schönsten, attraktivsten und intelligentesten Frauen, denen ich je begegnet war. Nur schade, dass bei mir ein Champagnergeschmack und ein
Limonadenbudget zusammentrafen. Auf eine Frau wie sie würde ich niemals anziehend wirken, und sie
erweckte leider nicht den Eindruck, als ginge sie mit Armen aus Nächstenliebe ins Bett.
Liv raffte ihren Morgenmantel zusammen, als sie
meinen Blick sah. »Stört Sie das? Ihr Engländer seid so merkwürdig, so verklemmt.«
»Und was ist mit euch?« fragte ich grinsend. »Obwohl ihr Fremden gegenüber so reserviert zu sein scheint, denkt ihr euch nichts dabei, in der Sauna nackt mit ihnen zusammenzusitzen und übers Wetter zu schwatzen. Dann stürmt ihr ins Freie, wälzt euch nackt im Schnee und peitscht euch mit Birkenzweigen. Was kommt Ihnen
verrückter vor?«
Sie lächelte. »Wir alle sind Gefangene unserer
Vergangenheit – wir Finnen vielleicht am allermeisten.«
Das brachte mich dazu, die Stirn zu runzeln. Für mich war das zu tiefsinnig.
»Ich erwarte nicht, dass Sie das verstehen, Nick, aber nordische Mythen prägen unsere Psyche mehr als die anderer skandinavischer Völker. Das ist vermutlich auf 229
die Jahrhunderte unter schwedischer und russischer Herrschaft zurückzuführen.« Sie tippte mit dem
Zeigefinger auf das Buch. »Eine Sammlung finnischer Sagen. Sie sehen, wir sind wirklich darin gefangen.«
»Ich bin eher ein Harry-Potter-Leser«, behauptete ich.
Ich hatte keine Ahnung, wovon sie redete.
Diesmal machte sie ein verständnisloses Gesicht.
Vermutlich glaubte sie, er schreibe Agententhriller oder welchen Scheiß ich sonst las.
»Nick, ich muss die näheren Einzelheiten der toten Briefkästen, in denen das Material und das Geld
hinterlegt werden, mit Ihnen besprechen. Wir fahren morgen früh alle nach Helsinki, selbst falls Tom den Firewall bis dahin nicht geknackt hat. Es ist wichtig, dass er nicht im Dunkeln gelassen wird.«
Ich öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber sie schien meinen eigenen Firewall geknackt zu haben. Ich wusste nicht, ob ich mich geschmeichelt fühlen oder besorgt sein sollte, weil sie genau zu wissen schien, was ich dachte.
»Nick, ich habe Ihnen bereits gesagt, dass Sie keinerlei Grund zur Besorgnis haben. Dort fahndet niemand nach Ihnen. Sonst wäre es sinnlos, dorthin zu fahren, nicht wahr? Wir alle wollen, dass Sie Erfolg haben – weshalb sollten wir also riskieren, Sie in Gefahr zu bringen?«
Eigentlich hatte sie Recht, aber es war noch keine Woche her, dass Zimmermann Helsinki in Dodge City verwandelt hatte, und ich wollte niemandem begegnen, der mich versehentlich für einen seiner guten Freunde hielt.
230
»Nachdem Tom und Sie morgen Abend dieses Haus
verlassen haben, dürfen Sie unter keinen Umständen hierher zurückkommen. Nur dann bleibt es ein sicherer Zufluchtsort. Sie würden hier ohnehin niemanden
antreffen, weil ich bald nach Ihnen wegfahre. Ich nehme alles mit, was Sie zurücklassen wollen, und bringe es Ihnen später mit. Am Mittwochmorgen müssen Sie den toten Briefkasten aufsuchen und eine Nachricht
hinterlassen, wo und wann Sie sich allein mit mir treffen wollen.
Für die Einzelheiten der Übergabe sind Sie allein zuständig. Valentin möchte Ihnen als Zeichen seines Vertrauens und damit Sie die Gewissheit haben, dass es bei der Transaktion keine unliebsamen Überraschungen gibt, in diesem Punkt völlig freie Hand lassen. Damit Sie ganz unbesorgt sein können, bleibe ich auch zukünftig Ihre einzige Kontaktperson.« Sie schenkte mir einen langen Blick aus ihren wundervollen Augen.
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