Nick Stone - 03 - Verbrannte Spuren
virtuelle
Stadtrundfahrt aus.«
Liv lächelte. »Nur etwas kälter, fürchte ich.«
Wir bogen um eine Ecke und kamen an einer
Leuchtreklame vorbei, die uns mitteilte, dies sei das Kaufhaus Stockmann. Liv zeigte im Vorbeifahren auf die großen Schaufenster. »Wir treffen uns im Café im
fünften Stock. Von hier aus ist der Hauptbahnhof in wenigen Minuten zu Fuß zu erreichen.«
Sie fuhr bis zum Hauptbahnhof weiter und hielt dann, um uns aussteigen zu lassen. Dabei spürte ich zum ersten Mal, wie bitterkalt dieser Tag war. Da die Garage ein abgeschlossener, klimatisierter Teil des Hauses war, hatte die Kälte bisher nicht an uns herankommen können. Liv sah durch die offene hintere Tür zu, wie ich meine Mütze aufsetzte und Handschuhe anzog. »Wir treffen uns in zwei Stunden im Stockmann. Für die Erkundung des
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Hauptbahnhofs sollten Sie ungefähr eine halbe Stunde rechnen.«
Ich nickte, dann wandte ich mich an Tom. »Die
restliche Zeit nutzen wir, um unsere Einkäufe zu
machen.«
Ich schloss die Tür des Geländewagens, und Liv fuhr davon. Unser Atem bildete Wolken vor unseren
Gesichtern, und jeder Quadratzentimeter ungeschützter Haut prickelte in der Kälte. Das gefiel Tom überhaupt nicht. »Arktisch oder was, Nick? Scheiße, können wir nicht zusehen, dass wir schnellstens dort drüben
reinkommen?«
Der Hauptbahnhof erhob sich vor uns auf der anderen Straßenseite. Er erinnerte an ein ostdeutsches Gefängnis: sehr kantig und imposant, mit einer Sandsteinfassade, die wie schmutzigbrauner Beton aussah. Er hätte als Kulisse für den Film 1984 dienen können. Ich verglich die Anzeige des Uhrenturms mit meiner Baby-G; beide
stimmten auf die Minute überein: 10.22 Uhr.
Als wir uns einer Gruppe von Fußgängern
anschlossen, die geduldig auf das kleine grüne Männchen warteten, runzelte Tom die Stirn und sagte: »Nick?«
»Was?« Ich konzentrierte mich darauf, eine Lücke
zwischen den Straßenbahnen zu entdecken, durch die ich spurten konnte. Ich hatte keine Lust, hier zu erfrieren, während ich auf kleine grüne Männchen wartete.
»Hast du Vertrauen zu ihr – du weißt schon, Liv?
Weißt du bestimmt, dass alles okay ist?«
Mir ging Livs Ratschlag, bei der Wahrheit zu bleiben, durch den Kopf – zum Glück nicht so nachdrücklich, 239
dass ich ihn befolgt hätte Ich traute grundsätzlich niemandem, und nach allem, was in Washington passiert war, traute ich Frauen erst recht nicht mehr. Auch wenn die Zeit drängte und ich in verzweifelten Geldnöten steckte, würde ich nichts unternehmen, bevor ich heute mein Sicherheitsnetz – und das für Tom – installiert hatte.
Die Fußgängerampel zeigte Grün, und wir setzten uns in Bewegung. »Keine Sorge, Kumpel, alles ist bestens.
Was sie betrifft, finde ich die Tatsache beruhigend, dass wir einen Treff im Kaufhaus vereinbart haben. Das beweist mir, dass diese Leute auf Draht sind und den Job ohne Probleme erledigt haben wollen. Mach dir
deswegen keine Sorgen.«
Tom zuckte mit den Schultern. »Yeah, aber wie willst du sicherstellen, dass wir anschließend nicht reingelegt werden? Tust du, was sie verlangt? Du weißt schon, hierher zurückkommen, ihr das ThinkPad mit dem
runtergeladenen Material geben und das Geld kassieren?
Oder verlangst du dann einen Nachschlag? Ich wette, dass das Zeug viel mehr wert ist, als wir dafür kriegen.«
Obwohl mir dieser Gedanke auch schon durch den
Kopf gegangen war, hütete ich mich davor, das
zuzugeben. »Nein, Kumpel, ich will die Sache bloß glatt abwickeln. Wir tauschen dein kleines Gerät gegen das Geld und sehen zu, dass wir wieder heimkommen. So läuft alles sicher und problemlos ab. Und der Verdienst ist nicht schlecht, das musst zu zugeben.« Während ich das sagte, ließ ich die ganze Zeit mein Smiley-Gesicht aufgesetzt. Ich kam mir vor, als versuchte ich, einen 240
kleinen Jungen dazu zu bewegen, seinen Rosenkohl zu essen.
Ich erwartete weitere Einwände, aber Tom zuckte nur mit den Schultern. »War bloß ’ne Frage, Kumpel. Bist du zufrieden, bin ich’s auch. Aber hör mal, sie ist lecker, nicht wahr?«
Ich grinste. »Ja, sie ist sehr schön. Aber nichts für unsereinen, mein Junge.« Ich konnte mir irgendwie nicht vorstellen, wie Liv in Notting Hill Juicy-Lucy-Karten küsste oder ihren Tag damit verbrachte, meinen
Heizkessel zu reparieren.
Die schweren hölzernen Eingangstüren des
Hauptbahnhofs hatten mit Metallgittern gesicherte runde Fenster. Wir stießen sie auf und standen sofort
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