Nick Stone - 03 - Verbrannte Spuren
überraschte, weil die Aussicht atemberaubend sein musste, war die Tatsache, dass es hier keine Fenster gab.
»Nicht nötig«, sagte Liv, als habe sie erraten, was ich dachte. »Immer zu dunkel.«
Ich stellte meine Reisetasche auf den Boden; einen anderen Platz gab es dafür nicht.
Sie wandte sich ab. »Tom, Ihr Zimmer liegt nebenan.«
Die beiden verschwanden, und ich hörte
Stimmengemurmel durch die Wand dringen, während ich meine Daunenjacke auszog und auf das stetige Summen der Klimaanlage horchte. Wenig später kamen draußen Livs Stiefel mit Gummisohlen vorbeigequietscht, und sie blieb an der Tür stehen. »Möchten Sie einen Kaffee, Nick, und vielleicht eine Kleinigkeit essen? Danach 219
müssen wir uns an die Arbeit machen. Uns bleibt nicht mehr viel Zeit.«
»Yeah, danke.«
Sie nickte und ging in den Wohnbereich zurück.
Als ich meine Reisetasche in eine Ecke stellte – überall sonst kam sie mir deplatziert vor –, steckte Tom seinen Kopf durch die Tür. »Echt Klasse, Kumpel. Mit der würd’s Spaß machen, was? Kommst du mit rüber?«
Einige Minuten später saßen Tom und ich uns auf
weißem Leder gegenüber. Die Sofas quietschten leise, als wir es uns bequem machten, und aus der Küche kam das gedämpfte Klirren von Porzellan. Aus Tom war offenbar nichts herauszubekommen, solange Liv in der Nähe war, was eigentlich nicht schlecht war. Immerhin hielt er auf diese Weise die Klappe. Während wir dasaßen und
warteten, leistete uns nur das stetige Summen der Klimaanlage Gesellschaft.
Liv erschien mit einem Tablett, auf dem ein
Kaffeezubereiter, Tassen, Milchkanne, Zuckerdose und ein Teller mit Knäckebrot und Käsescheiben standen. Sie stellte es auf den Glastisch und setzte sich neben Tom.
Ich wusste nicht recht, ob er sich vor Vergnügen oder Verlegenheit wand.
»Lassen Sie mich Ihnen als Erstes erklären, wie die Sache hier läuft«, begann Liv. »Ich bleibe mit Ihnen beiden hier. Mein Zimmer ist dort drüben.« Sie zeigte auf die gegenüberliegende Tür.
»Im Zimmer gegenüber Ihren Schlafzimmern steht das Notebook für Sie, Tom, mit dem Sie den Firewall
knacken sollen. Dazu kommen wir gleich noch.« Sie 220
wandte sich nochmals an mich. »Nick, dort finden Sie auch Karten von der Umgebung des Hauses, das Sie
besuchen werden.«
Sie begann einzugießen. »Bis Dienstagmorgen müssen Sie die Zugangssequenz entdeckt, das Haus betreten und das Material heruntergeladen haben. Schaffen Sie das nicht, habe ich Anweisung, den Deal für geplatzt zu erklären.«
Ich saß da, hörte zu und wusste, dass ich selbst einen Pakt mit dem Teufel pünktlich erfüllen würde. Ich wollte dieses Geld. Ich brauchte dieses Geld.
Liv und ich tranken einen Schluck schwarzen Kaffee.
Tom rührte seinen nicht an, wollte aber offenbar nicht lästig sein und um einen Kräutertee bitten. Wir verfielen wieder in angestrengtes Schweigen.
Sie lehnte sich zurück, beobachtete unser Unbehagen und schien fast ihren Spaß daran zu haben. Ich hatte das Gefühl, sie wisse weit mehr über Tom und mich, als wir je über sie erfahren würden.
»Das schaffen wir«, sagte ich schließlich.
Tom nickte. »Kein Drama.«
»Davon bin ich überzeugt. Über nebensächliche Dinge wie Geld, Übergabe der Informationen und so weiter reden wir später.« Liv stand auf. »Kommen Sie, nehmen Sie Ihre Tassen mit. Wir wollen uns an die Arbeit machen.«
Wir folgten ihr den Korridor entlang. Das Zimmer
rechts war ebenso weiß wie das übrige Haus: ein riesiger rechteckiger Raum mit zwei weißen Schreibtischen und zwei Drehstühlen. Auf einem Schreibtisch lag ein
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Aktenkoffer aus Aluminium, auf dem anderen stand ein elegantes schwarzes IBM-Notebook – zugeklappt etwas kleiner als ein Blatt Schreibmaschinenpapier – mit dem Karton, in dem es verpackt gewesen war, zusätzlichen Kabeln und einer dünnen schwarzen Nylontasche mit Tragegurt.
Liv deutete auf das Notebook. »Tom, dieses ThinkPad ist für Sie. Nick, kommen Sie bitte mit.« Sie trat an den anderen Schreibtisch.
Während Tom und Liv über Firewalls fachsimpelten, ließ ich die Schlösser des Aktenkoffers aufschnappen und klappte den Deckel hoch. Der Aluminiumkoffer enthielt mehrere farbig markierte Landkarten in verschiedenen Maßstäben. Das Zielobjekt lag offenbar in der Nähe der Kleinstadt Lappeenranta – etwa 120 Kilometer östlich von hier nahe der finnisch-russischen Grenze.
Die Karte im kleinsten Maßstab zeigte, dass
Lappeenranta inmitten eines riesigen
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