Nick Stone - 04 - Eingekreist
gewesen, und auf beiden
Flussufern erinnerte die Landschaft an ein Schlachtfeld aus dem Ersten Weltkrieg: ein Ödland aus Schlamm und Grasbüscheln, aus dem nur vereinzelt abgestorbene
Bäume aufragten.
Weil der Bayano in Mäandern verlief, hatte ich keine Ahnung, wie lange ich brauchen würde, um seine
Mündung zu erreichen. Daran ließ sich allerdings nichts mehr ändern: Ich war unterwegs.
Nach ungefähr einer halben Stunde, in der die Sonne tief am Horizont stand, aber deutlich zu sehen war, begann auf beiden Flussufern wieder Dschungel zu
wuchern, und als das Laub dichter wurde, blockte es mehr und mehr Sonnenlicht ab. Die Sonne stand noch
nicht hoch genug, um in die Lücke zu scheinen, die der Fluss im Laubdach bildete, deshalb sah ich über mir nur wolkenlos blauen Himmel. Außer dem Rauschen des
schnell fließenden Wassers war nur ein gelegentlicher Schrei von weiteren im Laubdach unsichtbaren Vögeln zu hören.
Ich stieß mich vom Flussbett ab, blieb in der Nähe des linken Ufers und behielt weiter Bodenkontakt, als der Bayano breiter wurde. Das gegenüberliegende Ufer wich allmählich immer weiter zurück und sah jetzt aus, als läge es in einem anderen Land. Der Dschungel machte Mangrovensümpfen Platz, die aussahen, als könnten in ihnen noch heute Dinosaurier hausen.
Der Fluss wurde bald über eineinhalb Kilometer breit.
Als ich um eine besonders weite, sanfte Biegung kam, konnte ich auf einmal den Pazifik sehen, der nur einen 546
Kilometer weiter flussabwärts lag. In der Ferne sah ich zwei Containerschiffe, aus deren Schornsteinen schwarze Rauchfahnen kamen, während die ruhige, fast
spiegelglatte See das Sonnenlicht reflektierte. Fünf bis sechs Kilometer vor der Küste lag eine üppig grüne
Tropeninsel.
Ich bewegte mich halb schwimmend, halb gehend
weiter und hielt die Augen offen, um nichts zu
verpassen, das mich zu der Sunburn führen konnte.
Die Strömung wurde langsamer, und ich ließ mich
weitere fünfhundert Meter mittreiben. Dann sah ich
ungefähr zweihundert Meter von der Flussmündung
entfernt ein kleines offenes Fischerboot, das aufs linke Ufer hinaufgezogen worden und dort verrottet war; sein Heck war schon abgefallen und hatte ein Skelett aus grauem, verrottetem Holz zurückgelassen. Als ich näher herankam, sah ich, dass hinter dem Boot eine Lichtung lag, auf der eine ähnlich verfallene kleine Holzhütte stand.
Ich ließ mich vorbeitreiben, suchte dabei das Ufer ab und entdeckte Spuren, frische Spuren. Ich konnte
deutlich die dunklere Unterseite einiger großer Farne oben an der Uferböschung sehen, und das einen halben Meter hohe Gras in der Nähe des Bootswracks war zur Seite gedrückt, wo jemand hindurchgegangen war. Nur winzige Details, die jedoch ausreichten, hier musste es sein, es musste hier sein. Für die Spuren gab es keine andere Erklärung. Aber ich sah keine weiteren Spuren im Schlamm jenseits der Uferböschung.
Ich ließ mich fünfzig Meter in Richtung Meer
547
weitertreiben, bis der Dschungel wieder bis ans Ufer reichte und das Boot verschwand. Ich berührte den
Boden und dirigierte den Kanister langsam ans Ufer.
Ich schleppte alles unter das Laubdach, kniete mich hin, löste die Verschlüsse des Gurtzeugs und machte das M-16 wieder frei. Um das Sturmgewehr brauchte ich
mich nicht weiter zu kümmern: ein kurzes Bad im Fluss konnte seine Funktionsfähigkeit nicht beeinträchtigen.
Ich legte das erste Gurtzeug an und verstellte die
Nylongurte so, dass es viel tiefer als normal hing –
praktisch in Taillenhöhe. Knapp darüber kam das zweite Gurtzeug, das ich so anpasste, dass es am unteren Rand meines Brustkorbs saß, und das dritte Gurtzeug fand darüber Platz. Ich überzeugte mich nochmals davon,
dass alle Magazine richtig in den Taschen steckten, damit ihre gekrümmte Seite beim Herausziehen mit der linken Hand von mir wegzeigte und sie sofort in den Magazinschacht gesteckt werden konnten. Nachdem ich Kammer und Verschlusshebel des M-16 erneut
kontrolliert hatte, blieb ich noch einen Augenblick auf dem Kanister sitzen, um mich an meine neue Umgebung zu gewöhnen und mich mental auf sie einzustimmen. Die Kühlwirkung des Wassers in meiner Kleidung begann in der schwülen Hitze unterzugehen, als ich auf meine
Baby-G sah. Es war 7.19 Uhr, und ich saß hier: wie
Rambo bis an die Zähne bewaffnet, von Moskitos halb aufgefressen, mein rechts Bein von einem durchnässten Verband zusammengehalten und ohne bestimmten Plan,
außer dass ich
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