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Nick Stone - 04 - Eingekreist

Nick Stone - 04 - Eingekreist

Titel: Nick Stone - 04 - Eingekreist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andy NcNab
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Alkohol
    oder Drogen standen oder geistig verwirrt waren, war manchmal schwer zu unterscheiden. Betreuung in der
    Gemeinschaft schien daraus zu bestehen, dass man sie sich selbst überließ.
    Der Duschraum bestand aus drei schmuddeligen
    Kabinen, und ich entschied mich für die mittlere.
    Während ich mich langsam auszog, irrten draußen
    Männer umher, deren Stimmen den Korridor füllten.
    Sobald ich ausgezogen war, drehte ich das Wasser auf.
    Ich fühlte mich wieder benommen, hatte nur noch den Wunsch, diesen Tag hinter mich zu bringen, und zwang mich dazu, meine Prellungen auf Brust und Beinen zu untersuchen, obwohl sie schmerzhaft und
    druckempfindlich waren.
    Auf dem Gang rief jemand meinen Namen, und ich
    erkannte diese Stimme. Ich wusste nicht, wie der Kerl hieß, sondern nur, dass er ständig betrunken war. Wie alle anderen konnte er nur so aus seinem elenden Dasein flüchten. Mit undeutlicher Stimme, die einen
    schottischen Anklang hatte, brüllte er immer wieder denselben alten Vorwurf, Gott habe ihn beschissen.
    Früher hatte er eine Frau, Kinder, ein Haus, einen Job.
    Alles war den Bach runtergegangen, er hatte alles
    110
    verloren, und daran war allein Gott schuld.
    Ich stellte mich unter die Dusche und bemühte mich, den Lärm auszublenden, als die anderen sich
    einmischten und ihn aufforderten, die Schnauze zu
    halten.
    Dieses städtische »Wohnheim« war eigentlich nichts
    anderes als ein Obdachlosenasyl. Allerdings beherbergte es nicht nur obdachlose Männer, sondern auch
    Flüchtlinge aus Bosnien, Serbien und dem Kosovo, die ihren Krieg nach London mitgebracht zu haben schienen und sich auf den Fluren und in den Waschräumen
    prügelten.
    Die Stimmen auf dem Flur begannen in meinem Kopf
    zu verschmelzen und immer lauter zu werden. Mein
    Herz hämmerte wie wild, und meine Beine wurden
    wieder gefühllos. Ich sackte in der Dusche zusammen und hielt mir mit beiden Händen die Ohren zu.
    Ich hockte einfach da, bedeckte meine Ohren mit den Händen, hielt die Augen fest geschlossen, versuchte den Lärm auszublenden und wurde von demselben
    kindlichen Entsetzen erfasst, das mich im Café
    überwältigt hatte.
    Das Bild, das der Jasager mir in den Kopf eingepflanzt hatte – Kelly schlafend im Bett –, ließ mich nicht los. Sie würde in dieser Minute in Maryland im Bett liegen,
    unten in einem zweistöckigen Bett, in dem Josh’ Älteste oben schlief. Ich wusste genau, wie sie aussehen würde.
    Ich war oft genug aufgewacht und hatte ihre Decke
    wieder an den Seiten festgesteckt, wenn es kalt war oder die Erinnerung an ihre ermordete Familie ihr Albträume 111
    bescherte. Sie lag dann halb unterhalb außerhalb ihrer Steppdecke auf dem Rücken, streckte Arme und Beine
    wie ein Seestern von sich und saugte an ihrer
    Unterlippe, während rasche Augenbewegungen unter
    ihren Lidern zeigten, dass sie träumte.
    Dann stellte ich sie mir tot vor. Kein Saugen an der Unterlippe, keine REM, nur ein steifer, toter Seestern.
    Ich versuchte mir auszumalen, was ich dabei empfinden würde, und war mir zugleich bewusst, das ich dafür
    verantwortlich war, dass es nicht dazu kam. Ich wusste nicht sicher, ob ich meine Stimme nur im Kopf hörte oder wirklich laut schrie, aber ich hörte mich brüllen:
    »Scheiße, wie bist du da bloß reingeraten?«
    8
    Ich hatte das Gefühl, mich in einen dieser Spinner
    draußen auf dem Flur zu verwandeln. Mir war es nie
    sonderlich schwer gefallen, Verständnis dafür zu haben, dass sie zu Alkohol und Drogen griffen, um aus der
    beschissenen realen Welt zu entfliehen.
    Ich hockte noch ein paar Minuten in der Duschkabine, bemitleidete mich selbst und betrachtete die einzigen Dinge, die ich als Beweis für mein Fortkommen in der realen Welt vorzuweisen hatte: in meinem Magen eine rosa Delle von einem 9-mm-Geschoss und an meinem
    rechten Unterarm eine saubere Doppelreihe
    punktförmiger Narben von einem Polizeihund in North 112
    Carolina.
    Dann hob ich mein Gesicht aus den Händen und wies
    mich streng zurecht: »Reiß dich zusammen,
    Armleuchter! Lass dich nicht so gehen. Sieh zu, dass du hier rauskommst …«
    Ich musste mir selbst helfen, wie ich’s als kleiner Junge gelernt hatte. Niemand würde kommen, um mir
    gegen das Nachtmonster beizustehen; diesen Kampf
    musste ich allein durchfechten.
    Erst als ich mich schnäuzte, merkte ich, dass ich
    offenbar geweint hatte.
    Ich rappelte mich auf, holte mein Wasch- und
    Rasierzeug heraus und machte mich an die Arbeit. Als ich geduscht und

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