Nick Stone - 04 - Eingekreist
grinste, während er beobachtete, wie die Kinder miteinander schwatzten und das Gehupe völlig ignorierten. »Haben Sie Kinder, Nick?«
»Nein.« Ich schüttelte den Kopf. In Gespräche dieser Art wollte ich mich nicht verwickeln lassen. Je weniger 165
er über mich wusste, desto besser für uns beide. Ein Profi hätte nicht danach gefragt, und es war seltsam, mit jemandem zusammen zu sein, der keine Ahnung hatte,
was Sache war. Außerdem würde ich ab kommende
Woche kein Kind mehr haben – es würde allein Josh
gehören.
»Oh.«
Die Kinder wurden jetzt von ihren Lehrerinnen auf
der Strandseite der Straße zusammengetrieben. Zwei
kleine Mädchen, die sich weiter an den Händen hielten, starrten ihn an – oder vielleicht eher meine
Sonnenbrille. Aaron drehte ihnen eine lange Nase und machte dabei ein komisches Gesicht. Sie streckten ihm die Zunge heraus und kicherten dann miteinander, weil ihre Lehrerinnen sie nicht dabei erwischt hatten.
Aaron sah zu mir hinüber. »Wir haben ein Mädchen,
Luce. Sie wird diesen November fünfzehn.«
»Oh, nett.« Ich konnte nur hoffen, dass er nicht
anfangen würde, Fotos aus seiner Geldbörse zu holen –
dann würde ich sagen müssen, wie hübsch sie war und so weiter, selbst wenn sie ein fades Pfannkuchengesicht hatte.
Der Verkehr kam wieder in Fluss. Aaron winkte den
beiden Mädchen zu, die ihre Daumen in die Ohren
steckten und mit den Fingern wedelten.
Wir kämpften uns weiter durch den dichten Verkehr
auf dem Boulevard. Rechts von uns lag eine Siedlung mit großen Villen im spanischen Kolonialstil, die nur staatliche Gebäude sein konnten. Sie waren alle tadellos gestrichen und standen auf weiten Rasenflächen
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zwischen Wasserfällen und Fahnenmasten, an denen die Flagge Panamas mit ihren rotweißblauen Quadraten
und zwei Sternen wehte. Zwischen den Gebäuden lagen gepflegte Parks mit überlebensgroßen Bronzestatuen
spanischer Eroberer aus dem 16. Jahrhundert mit
Blechhelmen und Kniebundhosen, die mit ihren
Schwertern heroisch in Richtung Meer deuteten.
Wenig später kamen wir an den gleich
eindrucksvollen Botschaften der Vereinigten Staaten und Großbritanniens vorbei. Vor den Gebäuden
flatterten die Stars and Stripes und der Union Jack über Bäumen und hohen Schutzzäunen. Die Dicke der
Panzerglasscheiben zeigte, dass sie nicht nur zur Zierde da waren.
Mich interessierte nicht nur, wie man die Stadt
notfalls schnellstens verlassen konnte, sondern auch die Lage meiner Botschaft. Es war immer tröstlich, im
äußersten Notfall einen Zufluchtsort zu haben.
Botschafter reagieren nicht gerade freundlich auf
Hilfeersuchen inoffizieller K-Agenten. Da Leute wie ich nicht durchs Tor eingelassen wurden, hätte ich über den Zaun klettern müssen. War ich jedoch erst einmal drin, konnte mich der Sicherheitsdienst nicht einfach wieder auf die Straße setzen.
Wir erreichten das Ende der Bucht und damit
offenbar die ärmeren Stadtviertel. Hier wirkten die Gebäude heruntergekommen; viele brauchten einen
neuen Anstrich, manche waren regelrecht baufällig.
Trotzdem war auch hier etwas von Bürgerstolz zu
sehen. Zum Strand hin erhob sich eine einen Meter hohe 167
Mauer, die weniger als Schutz vor den Wellen diente, als vielmehr verhindern sollte, dass Leute auf den Strand hinunterfielen. Sie war mit blauen Mosaikkacheln
geschmückt, und eine Kolonne von etwa zehn Frauen in Jeans und gelben T-Shirts mit dem Rückenaufdruck
Municipad war damit beschäftigt, sie mit Wurzelbürsten und Seifenlauge abzuschrubben. Außerdem rissen sie
alles Grünzeug heraus, das zwischen den
Gehsteigplatten wuchs. Ein paar von ihnen schienen
gerade Pause zu haben: Sie lehnten an der Mauer,
tranken Kokosmilch aus aufgeschlagenen Früchten und eine rosa Flüssigkeit aus Plastikbeuteln, in denen ein Strohhalm steckte.
Vor uns ragte eine Halbinsel etwa einen Kilometer
weit ins Meer hinaus; sie trug eine alte spanische
Kolonialsiedlung mit einer Ansammlung altersgrauer
Ziegeldächer um die strahlend weißen Doppeltürme
einer Kirche. Aaron bog rechts ab, sodass wir vom
Strand weg durch ein noch verwahrlosteres Viertel
fuhren. Die Straße war mit Schlaglöchern übersät, und meine Kopfschmerzen wurden schlimmer, als die
Federung des Mazda ächzte und quietschte. Die
verfallenen Gebäude auf beiden Seiten der Straße waren niedrige Wohnblocks mit Flachdächern. Ihre einst
bunten Fassaden waren von der Sonne ausgebleicht, und die hohe Luftfeuchtigkeit hatte
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