Nick Stone - 04 - Eingekreist
Mir war es egal, über welches Thema er
sprechen wollte, solange es nicht darum ging, Bäume zu umarmen. »Wie ich höre, stoßen sie jetzt häufig nach Panama vor, seit SOUTHCOM nicht mehr hier
stationiert ist.«
»Ja, das tun sie. Wir machen uns große Sorgen. Es
geht nicht nur um die ökologischen Probleme. Panama könnte die FARC nicht abwehren, wenn sie in großer
Zahl kämen. Sie sind einfach zu stark.«
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Er erzählte, dass die Bombenanschläge, Morde,
Entführungen und Erpressungen schon immer zum
Alltag gehört hatten. Aber seit die Amerikaner sich aus Panama zurückgezogen hatten, waren die FARC
unternehmungslustiger geworden. Einen Monat vor
dem Abzug der letzten US-Truppen hatten sie sogar
Panama City angegriffen. Vor dem amerikanischen
Luftwaffenstützpunkt in der Kanalzone hatten sie zwei Kampfhubschrauber entführt und in das von ihnen
kontrollierte Gebiet geflogen. Drei Wochen später
hatten sechs- bis siebenhundert FARC-Kämpfer einen
kolumbianischen Marinestützpunkt in der Nähe der
Grenze zu Panama angegriffen und dabei diese
Kampfhubschrauber als fliegende Feuerplattformen
eingesetzt.
Dann entstand eine Pause, und ich konnte sehen, wie Aaron das Gesicht verzog, während er zu formulieren versuchte, was ihm durch den Kopf ging. »Nick …« Er machte wieder eine Pause. Irgendetwas bedrückte ihn.
»Nick, ich möchte, dass Sie wissen, dass ich kein Spion, kein Revolutionär bin. Ich bin nur jemand, der seine Arbeit tun und hier in Frieden leben will. Das ist alles.«
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Ich nickte. »Wie ich schon gesagt habe, bin ich bis Freitagabend wieder weg und will versuchen, Ihnen
nicht zur Last zu fallen.« Irgendwie war es tröstlich, 160
dass auch andere Leute über diese Situation unglücklich waren.
Aaron erwiderte mein Lächeln zögernd, als wir eine
lange Brücke erreichten, die ungefähr hundertfünfzig Meter vom Land entfernt in Richtung Stadt führte. Sie erinnerte mich an die Straßenverbindung zu den Florida Keys.
Wir fuhren an ein paar rostigen Wellblechhütten
vorbei, die große Betonröhren umgaben, aus denen
städtische Abwässer ins Meer flossen. Genau vor uns ragten hohe, schlanke Bürotürme, deren getönte und
verspiegelte Glasfassaden selbstbewusst in der Sonne glitzerten, in den Himmel auf.
Nachdem wir einen weiteren Balboa gezahlt hatten,
um die Autobahn verlassen zu dürfen, erreichten wir einen breiten Boulevard, auf dessen Mittelstreifen
Bäume in gepflegten Rasenflächen standen. In die
Randsteine waren große Abflüsse eingelassen, die selbst tropische Regengüsse aufnehmen konnten. Auf dem
Boulevard waren Personenwagen, Lastwagen, Busse
und Taxis mit verrückten Fahrern unterwegs. Alle
fuhren, als hätten sie die Kiste gerade geklaut und seien damit auf der Flucht. Die Luft war von dem Gestank
von Auspuffgasen, dem Lärm aufheulender Motoren und ständigem Gehupe erfüllt. Irgendwo über uns raste ein Hubschrauber im Tiefflug vorbei. Aaron musste selbst bei dieser geringeren Geschwindigkeit weiter schreien, um sich verständlich zu machen. Er nickte zu Klein-Manhattan hinüber. »Dort sitzt das Geld.«
Das konnte ich mir vorstellen. Viele der großen
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europäischen und amerikanischen Banken, aber auch
nicht wenige mit zweifelhaft klingenden Namen, hatten glitzernde Glastürme, an denen groß ihr Name prangte.
Hier im Bankenviertel schien eine strenge
Kleiderordnung zu gelten: Die Männer auf den
Gehsteigen trugen elegante Hosen, frisch gebügelte
Hemden mit Ärmelfalten bis zum Kragen und
Krawatten; die Frauen hatten geschäftsmäßige Blusen und Röcke an.
Aaron machte eine weit ausholende Handbewegung,
während er einem Bierlaster auswich, der genau dort sein wollte, wo wir waren. »Panama versucht, ein neues Singapur zu werden«, sagte er und nahm den Blick von der Fahrbahn, was mir leichte Sorgen machte. »Sie
wissen schon, Offshore-Bankgeschäfte und dergleichen.«
Ich lächelte, während wir an eleganten Bars,
japanischen Restaurants, Läden für Designerklamotten und einem Porsche-Ausstellungsraum vorbeikamen.
»Ich habe gelesen, dass das Bankgeschäft bereits
ziemlich dynamisch ist.«
Er wich einem mit schwankenden Gummibäumen
beladenen Pickup aus, der uns anhupte. »Das kann man allerdings sagen – hier wird viel Drogengeld gewaschen.
Angeblich bringt der Drogenhandel über neunzig
Milliarden Dollar im Jahr, was ungefähr zwanzig
Milliarden Dollar mehr sind als die kumulierten
Jahresgewinne von
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