Nick Stone - 04 - Eingekreist
um
fünfundzwanzig Meter. Sind sie erst mal oben, fahren sie einfach über den See und werden am anderen Ende
wieder auf Meeresniveau abgesenkt. Das Ganze gleicht einer Brücke über die Landenge. Wirklich genial – das achte Weltwunder.«
Ich zog den Ring meiner zweiten Orangenlimonade
auf und nickte zur Schleuse hinüber. »Ziemlich knapp bemessen, was?« Darüber konnte er wieder eine Zeit
lang schwatzen.
Er antwortete, als habe er die Schleuse selbst
entworfen. »Kein Problem – die Schiffe sind alle nach Panamax-Norm gebaut. Werften in aller Welt
berücksichtigen schon seit Jahrzehnten die
Abmessungen dieser Schleusenkammern.«
Der Frachter stieg weiter wie ein Wolkenkratzer vor mir in die Höhe. Im nächsten Augenblick legten
Posaunen, Trompeten, Querpfeifen und Trommeln los,
als die Kapelle eine flotte Samba anstimmte, und die 187
Girls führten ihr Zeug zum Entzücken der Gerüstbauer vor.
Zehn Minuten später, als die Wasserspiegel gleich
hoch waren, wurde das vordere Schleusentor geöffnet, und der Vorgang wiederholte sich. Das Schleusensystem glich einer gigantischen Treppe. Die verchromten Stäbe wirbelten weiter durch die Luft, und die Blaskapelle marschierte in der Affenhitze auf dem Rasen auf und ab.
Auch die Musiker schienen von lateinamerikanischem
Überschwang erfasst zu werden und versuchten selbst ein paar Tanzschritte, während sie hin und her
marschierten.
Ein schwarzer Lexus 4x4 mit goldbedampften
Seitenscheiben fuhr vor dem Shop vor. Die vorderen
Fenster öffneten sich, und zwei jüngere Weiße mit
Hemd und Krawatte kamen zum Vorschein. Der
Beifahrer, ein muskulöser, braun gebrannter
Mittzwanziger stieg aus und ging geradewegs ans
Trailerfenster, ohne sich um die Schlange der
Wartenden zu kümmern. An seinem Gürtel glitzerte
eines der neuen kleinen Nokia-Handys mit Chromeffekt neben der Pistole, die er in einem Halfter an der rechten Hüfte trug. Aber ich dachte mir nichts dabei –
schließlich waren wir hier in Mittelamerika. Ich legte den Kopf in den Nacken, um die zweite Dose zu leeren, und nahm mir vor, noch ein paar für unterwegs zu
kaufen.
Als der Mittzwanziger mit den Getränken
zurückkam, ertönte aus dem Lexus eine junge
amerikanische Stimme: »Hey, Mr. Y.! Wie läuft’s,
188
Mann?«
Aaron warf den Kopf herum. Auf seinem Gesicht
erschien ein Lächeln. Er winkte. »Hey, Michael, und wie geht’s Ihnen? Wie waren die Semesterferien?«
Ich sah ebenfalls zu dem Lexus hinüber. Obwohl mein Kopf noch in den Nacken gelegt war, erkannte ich das grinsende Gesicht in dem geöffneten hinteren Fenster sofort wieder.
Nachdem ich ausgetrunken hatte, hielt ich meinen
Kopf gesenkt, während Aaron an den Wagen trat. Meine Müdigkeit verflog, als Adrenalin durch meinen Körper gepumpt wurde. Das war nicht gut, überhaupt nicht gut.
Ich sah zu Boden, gab vor, mich zu entspannen, und
versuchte, trotz der Musik mitzubekommen, was
gesprochen wurde.
Der Junge streckte Aaron zur Begrüßung die rechte
Hand hin, aber sein Blick blieb auf die Girls gerichtet.
»Tut mir Leid, ich kann nicht aussteigen – mein Vater sagt, dass ich mit Robert und Ross im Wagen bleiben muss. Ich hab gehört, dass sie heute hier auftreten würden, und wollte sie mir auf der Heimfahrt ansehen, Sie wissen, was ich meine, Mr. Y.? Haben die Pompon-Girls Sie nicht auch interessiert? Ich meine, bevor Sie geheiratet haben …«
Ich stellte fest, dass die beiden Leibwächter sich nicht im Entferntesten von den Girls oder dem ansteckenden Latinobeat ablenken ließen; sie konzentrierten sich ausschließlich auf ihren Job. Ihre Gesichter hinter den dunklen Sonnenbrillen waren ausdruckslos, während sie aus ihren Dosen tranken. Der Motor lief weiter, und ich 189
konnte sehen, wie Kondenswasser von der Klimaanlage auf den Asphalt tropfte.
Die Kapelle hörte zu spielen auf und marschierte jetzt zum Takt einer Basstrommel. Michael schwatzte
aufgeregt weiter, und irgendetwas, das er sagte, ließ Aaron die Augenbrauen hochziehen. »England?«
»Ja, ich bin erst gestern zurückgekommen. Dort ist
eine Bombe hochgegangen, und die Polizei hat mehrere Terroristen erschossen. Mein Vater und ich waren ganz in der Nähe – im Parlamentsgebäude.«
Aaron ließ sich anmerken, wie überrascht er war,
während Michael seine Getränkedose aufriss. »Hey,
Nick, haben Sie das gehört?« Er machte die Zielperson mit einer Kopfbewegung auf mich aufmerksam. »Nick …
er ist Engländer.«
Scheiße,
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