Nick Stone - 04 - Eingekreist
schniefend zur Normalität zurückkehrte. Dann kam Aaron herein und sah von einem zum anderen, während er die Situation einzuschätzen versuchte.
Sie blickte mit vom Weinen geröteten Augen zu ihm auf. »Ich hab’s ihm erzählt«, sagte sie. »Ich hab ihm alles erzählt.«
Aaron sah mich an und seufzte. »Mir war diese Sache von Anfang an zuwider. Ich habe sie gebeten, sich nicht darauf einzulassen.« Das klang, als spreche er mit mir über unser Kind.
Er wandte sich an Carrie. »George hätte dir das nie zumuten dürfen. Der Preis für das, was du willst, ist zu hoch, Carrie. Es muss auch eine andere Möglichkeit geben.« Seine Stimme klang aufgebracht, aber die Verbitterung hielt nicht lange an. Er war mit zwei, drei großen Schritten bei ihr, umarmte sie, streichelte ihr Haar, als sie ihren Kopf an seinen Bauch lehnte, und machte dabei beruhigende Geräusche, wie er es vermutlich auch bei Luz getan hatte — und ich oft genug bei Kelly.
Ich stand auf, ging in den Wohnbereich zurück und folgte meiner eigenen Schlammspur in Richtung Veranda. Die Fliegengittertür öffnete sich quietschend, und ich gesellte mich zu den Nachtinsekten, die die Wandleuchte umschwärmten, warf die Kissen achtlos auf den Boden, begann die Halteseile der Hängematte zu lösen und empfand dabei ehrliches Mitleid mit den beiden und mit Luz.
Mir war völlig klar, was hier passierte: Sie wurden gnadenlos ausgenutzt. Was Carrie mir erzählt hatte, hätte alles sehr logisch geklungen, wenn der Pizzamann nicht gewesen wäre. Hatte er Aaron — oder auch nur seinen Mazda — an der Schleuse gesehen, war verständlich, warum er blitzartig abgehauen war.
Wussten Aaron und Carrie nicht, dass er in Panama war, wollte er natürlich nicht von ihnen gesehen werden. Ich war versucht, ihr von dem Pizzamann zu erzählen und sie nach ihm auszufragen, aber das wäre voreilig gewesen. Ich würde es mir für später aufheben — vor allem auch, weil ich mir noch keinen Reim auf seinen Besuch bei Charlie machen konnte.
Ich knotete den Strick vom Wandhaken los, ließ ihn zu Boden fallen und machte mich daran, das um einen der Verandapfosten geschlungene dicke Seil zu lösen. Ich ließ auch dieses Ende der Hängematte zu Boden fallen, stieg darüber hinweg und ging die Verandastufen hinunter.
Was nun?
Ich öffnete die Hecktür des Mazda und sah im Licht der Wandlampe auf der Veranda, dass Aaron alles, was hinten herumgeflogen war, in eine alte Segeltuchtasche gepackt hatte. Ich zog ein nach Benzin riechendes blaues Abschleppseil heraus und ging damit zum Haus zurück.
Die Frage Was nun? war noch immer nicht beantwortet.
Auf der Veranda trat ich an die Fliegengittertür und warf einen Blick ins Hausinnere. Aaron war nirgends zu sehen, aber Carrie saß noch immer nach vorn gebeugt auf dem Regiestuhl, hatte ihre Ellbogen auf die Knie gestützt und starrte den Fußboden an. Ich beobachtete einige Sekunden lang, wie sie sich mit den Fingern durchs Haar fuhr, bevor sie mit dem Handrücken ihre Augen abwischte.
Als ich mich bückte, um die Hängematte zusammenzuraffen, wurde mir klar, was ich in dieser Sache unternehmen würde. Nichts. Absolut nichts. Ich konnte mir nicht den Luxus erlauben, etwas anderes zu tun, als meinen Auftrag auszuführen, um Kelly am Leben zu erhalten.
Ich musste mich auf den Auftrag konzentrieren, nur mein Job war wichtig. Alles andere war scheißegal. Für mich ging es einzig und allein darum, den Jasager zufrieden zu stellen: Er konnte Kelly und mich ins Unglück stürzen, nicht irgendetwas, das hier passierte.
Ich blendete alle nebensächlichen Überlegungen aus und sagte mir mehrmals vor, was seit Sonntag mein gesamter Lebensinhalt hätte sein müssen. Dein Auftrag: Michael Choi liquidieren. Dein Auftrag: Michael Choi liquidieren. Dein Auftrag ...
Als ich mit der Hängematte und dem Abschleppseil in den Armen die Fliegengittertür aufzog, kam Aaron gerade auf Zehenspitzen aus Luz’ dunklem Zimmer und schloss leise die Tür hinter sich. Um anzudeuten, dass Luz schlief, legte er beide Hände flach an seine Wange, während er auf mich zukam.
Ich senkte die Stimme. »Hören Sie, ich habe bis heute nichts von Carrie, ihrem Vater und dem ganzen übrigen Zeug gewusst. Tut mir Leid, wenn das Leben beschissen ist, aber ich bin hier, um einen Auftrag auszuführen, und muss darauf bestehen, dass mich jemand hinfährt, damit ich ihn durchführen kann.«
Er rieb sich das Gesicht und holte tief Luft. »Sie wissen, warum sie das macht,
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