Nick Stone - 04 - Eingekreist
»Dort lebt sie jetzt, nicht wahr?«
Ich gab keine Antwort. Er wusste genau, dass es stimmte. Sundance sah wieder nach vorn. »Nun, wie ich höre, ist’s dort recht malerisch — du weißt schon, Bäume und Gras und dieser ganze Scheiß. Und wenn wir mit dem Job in Laurel fertig sind, könntest du mich mit deiner Halbschwester in New York bekannt machen .«
»Kommt nicht in Frage! Das würde dir so passen!«
Ich spürte, wie sich mein Magen verkrampfte, und musste rasch tief durchatmen, während ich daran dachte, was passieren könnte, wenn ich es nicht schaffte, diesen Auftrag auszuführen. Aber der Teufel sollte mich holen, wenn ich auf ihr Spielchen einging. Außerdem war ich einfach zu müde, um darauf zu reagieren.
Fünfundsechzig Minuten später hielt der Mercedes vor dem Air Movement Centre in Brize, und Laufschuhe stieg aus, um die nächste Etappe meines Lebens zu
organisieren.
Im Wagen herrschte Schweigen, während ich auf das Röhren startender RAF-Transportflugzeuge horchte und Soldaten der Argyll and Sutherland Highlanders in Wüstentarnanzügen und mit Rucksäcken auf den Schultern und Walkmanstöpseln in den Ohren vorbeimarschieren sah. Mir kam es vor, als sei die Zeit zurückgedreht worden. Ich hatte die Hälfte meiner Militärzeit auf diesem Flugplatz verbracht, denn wir waren von Brize aus nicht nur regelmäßig zu unseren Einsätzen geflogen — genau wie die Highlanders —, sondern ich hatte hier auch Fallschirmspringen gelernt. Das Leben in Brize hatte mir gefallen: Nachdem ich in einer Kleinstadt stationiert gewesen war, in der es nur drei Pubs gab, war mir Brize wie ein Kurort vorgekommen. Hier gab es sogar eine Bowlingbahn.
Ich beobachtete, wie ein Hauptmann seine Leute zum Eingang des riesigen Glasbaus aus den Sechzigerjahren führte und ihre Namen auf seinem Schreibbrett abhakte, als sie an ihm vorbei hineingingen.
Laufschuhe kam mit einem nervös wirkenden Korporal des Transportgeschwaders zurück. Der Uniformierte hatte vermutlich keine Ahnung, was hier vorging, sondern wusste nur, dass er einen finster dreinblickenden Zivilisten an Bord eines seiner kostbaren Flugzeuge begleiten sollte. Er wurde angewiesen, ein paar Meter von dem Mercedes entfernt zu warten, während Laufschuhe an den Wagen trat und die hintere Gehsteigtür öffnete. Ich sah ihn nur von der Brust abwärts, als seine Hand mich zum Aussteigen
aufforderte.
Als ich über den Rücksitz auf die andere Seite rutschte, sagte Sundance: » He y! «
Ich wartete und starrte dabei in den Fußraum.
»Machen Sie ja keinen Scheiß, Freundchen.«
Ich nickte. Nach ihrem Spielchen auf der Fahrt hierher und dem Vortrag, den der Jasager mir am Morgen gehalten hatte, hatte ich die Message verstanden. Ich stieg aus und nickte dem RAF-Korporal grüßend zu.
Wir waren erst ein paar Schritte entfernt, als Sundance mich nochmals rief. Ich ging zurück und steckte meinen Kopf durch die hintere Tür, die Laufschuhe offen gelassen hatte. Das Röhren der Transportmaschinen bewirkte, dass er schreien musste, während ich mich auf den Rücksitz kniete, um besser zu verstehen, was er sagte. »Was ich noch fragen wollte: Wie geht’s eigentlich Ihrem Mündel? Wie ich höre, wart ihr beide in psychiatrischer Behandlung, bevor sie zurückgeflogen ist. Sie ist auch nicht ganz richtig im Kopf, was?«
Ich konnte mich nicht länger beherrschen. Mein Körper begann zu zittern.
Er grinste hämisch. »Vielleicht wär’s für die Kleine sogar gut, wenn Sie Scheiß bauen — wir täten ihr einen Gefallen, wissen Sie.«
Er genoss jeden Augenblick dieser Szene. Ich versuchte ruhig zu bleiben, aber das funktionierte nicht. Er konnte sehen, dass ich unter der Oberfläche kochte.
»Tut weh, was?«
Ich tat mein Bestes, nicht zu reagieren.
»Also, verpissen Sie sich, Freundchen, und machen Sie’s diesmal richtig.«
Scheiß drauf.
Ich warf mich kniend nach vorn und packte seinen Kopf mit beiden Händen. Im selben Augenblick senkte ich den Kopf nach unten und riss sein Gesicht zu meinem Haaransatz hoch. Unsere Köpfe knallten zusammen, und ich war vor Schmerzen Sekunden lang benommen.
Dann kroch ich rückwärts aus dem Wagen, richtete mich auf und hob die Hände, als wollte ich mich ergeben. »Alles okay, alles okay ...«
Ich riss die Augen auf und sah in den Mercedes. Sundance war auf seinem Sitz zusammengesackt und bedeckte seine Nase mit den Händen, zwischen deren Fingern Blut hervorlief. Ich setzte mich in Bewegung, ging auf den Korporal zu und
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