Nick Stone - 04 - Eingekreist
ausgeprägten Wangenknochen an. Sie würde eines Tages eine bildschöne Frau werden, aber bis dahin waren es noch ein paar Jahre. Ihr Körper war knabenhaft schlank, und unter dem Saum des T-Shirts waren dünne Beine zu sehen, die an den Schienbeinen blaue Flecken von wilden Spielen trugen.
Sie betrachtete mich nicht ängstlich oder verlegen, sondern schien diese seifige Version von Darth Maul, die ihren Kopf hinter dem Duschvorhang hervorstreckte, nur interessiert zu begutachten.
»Hola.«
So viel Spanisch verstand ich. »Oh, hola. Du bist Luz?«
Sie nickte, während sie mich einzuordnen versuchte, oder vielleicht fand sie nur meine Aussprache merkwürdig. »Mom hat mich gebeten, Ihnen diese
Sachen zu bringen.« Sie sprach amerikanisches Englisch mit leichtem spanischem Akzent.
»Vielen Dank. Ich bin Nick — freut mich, dich kennen zu lernen, Luz.«
Sie nickte wieder. »Okay, bis später . « Dann ging sie und machte einen kleinen Umweg, um nicht an der Dusche vorbeigehen zu müssen.
Ich kümmerte mich wieder um meine Wunde. Sie war ungefähr zehn Zentimeter lang und etwa zwei Zentimeter tief, aber wenigstens war es ein glatter Schnitt.
Seife und Shampoo begannen an mir anzutrocknen, während ich dastand und versuchte, meinen Job und mich selbst in den Griff zu bekommen. Ich drehte das Wasser wieder auf, spülte mich die erlaubten sechzig Sekunden lang ab und pisste dabei auch. Mein Urin war scheußlich dunkelgelb, was bedeutete, dass ich stark dehydriert war. Ich vermutete, dass das der Grund für meine Schwindelanfälle war.
Ich frottierte mich im Freien ab und zog dann Aarons Klamotten an: eine reichlich große Unterhose, eine Khakihose mit je einer Kartentasche an den Beinen und ein sehr altes, verwaschenes graues T-Shirt, das die Welt auffordert: Just do it. Die Hose war mir um die Taille zu weit, aber sie ließ sich mit ihrem Gürtel zusammenziehen. Die Beintaschen hatten gute Klettverschlüsse, deshalb verstaute ich Geldbörse, Reisepass und Flugticket, die in den Plastiktüten blieben, in der rechten Kartentasche.
Da ich keine Zahnbürste hatte, begnügte ich mich damit, etwas Zahncreme auf meinen Zeigefinger zu drücken und mir so die Zähne zu putzen. Nachdem ich mein feuchtes Haar mit den Fingern gekämmt hatte, trank ich an dem mit einem T gekennzeichneten Hahn von dem bitter schmeckenden Wasser, bis ich außer Atem war, und spürte, wie die dringend benötigte lauwarme Flüssigkeit meinen Bauch spannte.
Als Nächstes zog ich den Leatherman aus seinem Etui, um Diegos Blut abzuwaschen, und steckte ihn dann ein. Nachdem ich noch einmal viel Wasser getrunken hatte, hängte ich das nasse Handtuch wie ein braver Junge auf die Wäscheleine. Mit meinen zusammengerollten alten Sachen in der linken und meinen Timberlands in der rechten Hand ging ich zum Lagerraum zurück, kroch unters Feldbett, um mir Diegos Geldbörse zu angeln, nahm den Erste-HilfeKoffer und das Satellitenfoto mit und setzte mich draußen wieder auf den Betonsockel.
Auf dem Satellitenbild war deutlich die Zufahrt vom Tor zu Charlies Haus erkennen, außerdem geparkte Autos, Dieselqualm von einer Planierraupe, die eben einen Baumstumpf aus der Erde zog, und Leute, die am Pool faulenzten. Diese Aufnahme war in Ordnung, aber sie verriet mir nichts, was ich nicht schon wusste. Ich hatte gehofft, sie würde mir vielleicht eine weniger auf dem Präsentierteller liegende Zufahrt oder irgendetwas anderes zeigen, das mich auf eine Idee bringen würde.
Ich fand eine Streudose mit antibiotischem Puder, sprenkelte meine Wunde damit gut ein und legte ein Mullpolster darauf, das ich mit einer Elastikbinde sicherte. Als ich das braune Fläschchen mit Dihydrocodein sah, fiel mir auf, dass meine Kopfschmerzen verflogen waren.
Carrie hatte keine Socken mitgeliefert, also musste ich wieder meine eigenen anziehen. Sie waren jetzt kartonartig steif, aber wenigstens trocken. Ich zog meine Stiefel an, rieb mein Kreuz und mein verschwollenes Gesicht mit Antihistamincreme ein und packte alles wieder in den Erste-Hilfe-Koffer. Ich fand zwei Sicherheitsnadeln, mit denen ich die Beintasche verschloss, und trug den Koffer in den Lagerraum zurück. Nachdem ich mein altes Zeug unter dem Feldbett verstaut hatte, steckte ich Zündhölzer ein, ging wieder ins Freie, scharrte mit einem Stiefelabsatz eine flache Grube ins Erdreich und leerte den Inhalt von Diegos Geldbörse hinein — bis auf die achtunddreißig Dollar, die er bei sich gehabt hatte. Während ich
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