Nick Stone - 05 - Tödlicher Einsatz
überdachten Hauseingang mit Mosaikboden verschwand.
Jetzt durfte ich nicht länger warten. Ich hatte nur diese eine Chance. Ich rannte auf ihn zu und erreichte ihn in dem Augenblick, in dem er die eloxierte Haustür mit Glaseinsätzen aufsperrte. Er kehrte mir den Rücken zu, hätte mein Spiegelbild aber im Glas sehen können.
»Sie ist schön, nicht wahr?«
Er fuhr herum, ließ dabei den Schlüssel stecken. Seine Augen drohten aus den Höhlen zu quellen, und seine Arme baumelten kraftlos herab, als er rückwärts gegen die Haustür torkelte. Mit der Linken packte ich den unteren Rand meines Sweatshirts, um ihn hochreißen und mit der anderen Hand die Browning ziehen zu können.
Sein Blick folgte meinen Bewegungen. Fettkloß wusste recht gut, was sie bedeuteten. Einige Sekunden lang starrte er mich nur entsetzt an, dann stammelte er: »Sie?
Sie? «
Dass er mich wiedererkannte, wunderte mich nicht.
Manche Dinge vergisst man sein Leben lang nicht mehr.
Sogar aus einem Meter Entfernung roch ich sein
aufdringliches Rasierwasser, in das sich der Duft von Haarspray mischte. Mein Nicken galt der Illustrierten in seiner Hand. »Sie ist schön, nicht wahr?«, fragte ich noch mal, aber er gab wieder keine Antwort.
»Los, reden Sie schon! Sie ist schön, nicht wahr? «
Endlich sagte er etwas. »Ja, aber Katharine Hepburn
…« Sein Gesicht verzog sich zu einem Greinen. Er
merkte, dass er Mist gebaut hatte. »Nein, nein, bitte!
Warten Sie, warten Sie! Ja, aber nicht so schön wie Katharine Hepburn, finden Sie nicht auch?«
Das genügte mir. »Wohin wollen Sie?«
Fettkloß drehte sich halb um und wies ins Haus. Er hatte sich heute Morgen rasiert, aber schon wieder einen deutlichen Bartschatten.
»Ist in Ihrer Wohnung jemand?«
»Non.«
»Gut, dann komme ich mit. Also los!«
»Aber …«
Ich stieß ihn durch die Tür in die düstere
Eingangshalle im Erdgeschoss. Die Gummisohlen meiner Timberlands quietschten auf dem grauen Fußboden aus Pseudomarmor. In einer der Erdgeschosswohnungen
greinte ein Baby, und ich nahm Kochgerüche wahr, als wir zum Aufzug gingen. Fettkloß blieb weiter verdammt nervös. Er schnaufte schwer, während er mit seinem krampfhaft an sich gedrückten Kaschmirpullover vor mir herging. Ich wollte ihn beruhigen, was meine Absichten betraf, aber dann dachte ich: Scheiß drauf, wozu die Mühe? Für mich war’s ohnehin besser, wenn er sein Gleichgewicht nicht so rasch wiederfand.
Der kleine, kastenförmige Aufzug kam, und wir
stiegen ein. Der Geruch änderte sich. Jetzt roch ich seine Zigaretten. Er drückte auf den Knopf für den vierten Stock, und das Ding setzte sich ruckelnd in Bewegung.
Da ich hinter Fettkloß stand, konnte ich sehen, wie ihm der Schweiß hinten in den Hemdkragen lief, als ich ihm auf die Schulter tippte. »Zeigen Sie mal her, was Sie in Ihrer Handtasche haben.« Er reichte sie bereitwillig über die Schulter nach hinten, damit ich den Inhalt
kontrollieren konnte. Die Tasche enthielt nichts, was ich nicht schon gesehen hatte: eine Packung Camel Lights, ein goldenes Feuerzeug und eine kleine Ledergeldbörse.
Seine Schlüssel hielt er noch in der Hand.
Der Aufzug fuhr so langsam, dass kaum festzustellen war, ob er sich überhaupt bewegte. Als ich Fettkloß von hinten betrachtete, konnte ich sehen, dass seine Jeans um die Taille herum etwas zu eng waren. Speckpolster quollen auf beiden Seiten heraus, spannten das Hemd und legten sich über den Gürtel. An seinem linken
Handgelenk baumelten über der perfekt manikürten Hand eine goldene Rolex und zwei dünne Goldkettchen. Am rechten Handgelenk trug er ein identisches Armbandpaar, und am kleinen Finger hatte er einen Siegelring.
Insgesamt sah er aus wie ein alternder Gigolo, der noch immer glaubt, einundzwanzig zu sein.
Er zog den Reißverschluss seiner Handtasche zu und wischte sich den Schweiß vom Nacken. »Bei mir ist niemand«, beteuerte er. »Das verspreche ich Ihnen.«
Die Aufzugtür öffnete sich, und ich stieß ihn vor mir her in den halbdunklen Flur hinaus. »Gut. Welche
Nummer?«
»Dort drüben. Neunundvierzig.«
Ich blieb dicht hinter ihm und hielt mich bereit, meine 9mm-Pistole zu ziehen, während er seinen Schlüssel ins Zylinderschloss der dunkelbraun lackierten Wohnungstür steckte. Sie führte in einen kleinen Raum, den ich auf ungefähr vier mal vier Meter schätzte. Die Sonne gab sich große Mühe, die Netzvorhänge vor der
Glasschiebetür zum Balkon zu durchdringen, schaffte es aber
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