Nick Stone - 05 - Tödlicher Einsatz
gezogen hatte, vom Blitz erschlagen zu werden.
Ich starrte ihn meinerseits an. »Warum hatten Sie in Algerien solche Angst, wenn Sie den Tod angeblich nicht fürchten? Und warum haben Sie vorhin Angst gehabt?«
Er begann zu paffen wie Oscar Wilde an einem
schlechten Tag. »Wenn ich abtrete, mein Freund, möchte ich – wie sagt ihr Engländer gleich wieder? – mit einem Knall abtreten. Ich will Ihnen etwas erzählen, mein Freund.« Er beugte sich nach vorn und drückte seine zweite Kippe aus. »Ich weiß, dass es für mich keine Hoffnung mehr gibt. Aber ich habe vor, mein Leben auf eine mir genehme Weise zu beenden – und ganz sicher nicht zu einem Zeitpunkt, den Sie bestimmen. Ich will mein Leben in vollen Zügen genießen, bevor die
Krankheit wirklich zuschlägt … und dann peng!« Er klatschte laut in die Hände. »Eine Pille, und weg bin ich.
Ich will meine gute Figur nicht verlieren, und wie Sie sehen, bin ich noch immer der hübscheste Junge am Strand.«
Ich griff nach der Zeitung, faltete sie um das Blatt Papier, überzeugte mich davon, dass es nicht
herausrutschen konnte, und rollte sie wie einen Bauplan zusammen. »Lügen Sie in Bezug auf diese Adressen, bekomme ich grünes Licht, Sie mir vorzuknöpfen,
verlassen Sie sich darauf.«
Er schüttelte den Kopf und zog eine weitere Zigarette aus der Packung. »Niemals! Ich bin für Ihre Bosse zu wertvoll. Aber Sie, Sie machen mir Sorgen, Sie sind schon zu lange aus Ihrem Zwinger heraus.« Er deutete mit einem von Nikotin gelben Finger auf mich. »Sie würden’s aus eigenem Antrieb tun. Das habe ich in Algerien gespürt.« Sein Feuerzeug klickte, und ich hörte brennenden Tabak knistern. »Ich weiß, dass Sie mich nicht leiden können, und verstehe das vielleicht sogar.
Aber manche von uns haben unterschiedliche Begierden und unterschiedliche Freuden, und wir suchen doch alle unser Vergnügen, nicht wahr?«
Ich ignorierte seine Frage. Fettkloß stemmte sich hoch, als ich die Wohnungstür öffnete. Ich behielt die Zeitung in der Hand und beeilte mich, hier rauszukommen, damit ich dem überwältigenden Drang widerstehen konnte, ihn an die Wand zu klatschen.
21
Ich warf die Zeitung mit dem eingerollten Blatt Papier in den Fußraum vor dem Beifahrersitz, holte ein Paar Plastikhandschuhe aus dem Handschuhfach und zog sie an. Dann beugte ich mich in den Fußraum, angelte das Blatt heraus und las die Adressen, wobei ich das Papier nur an einer Ecke festhielt.
Die erste lautete: Büro 617, Palais de la Scala, Place du Beaumarchais, Fürstentum Monaco. Von meiner
Erkundung erinnerte ich mich an dieses Gebäude. Es stand ganz in der Nähe der Spielbank und des
Bankenviertels, was jedoch nicht viel besagte, weil ganz Monaco voller Banken war. Das Palais de la Scala war Monacos Antwort auf Einkaufszentren – mit Säulen aus echtem Marmor und Jahrgangschampagnern, von denen eine Flasche so viel wie ein Kleinwagen kostete. Es stand auch neben dem Hôtel Hermitage, das von Rockstars und Großindustriellen frequentiert wurde.
Die Adresse in Nizza lag am Boulevard Jean XIII. Ein rascher Blick in den Straßenatlas zeigte mir, dass dieser Boulevard im Stadtviertel La Roque in der Nähe des Güterbahnhofs lag, an dem ich auf der Fahrt zu dem sicheren Haus vorbeigekommen war, und keinen
Dreiviertelkilometer von einem Bahnhof – dem Gare Riquier – entfernt war. Die letzte Adresse kannte ich sehr gut. Das Gebäude stand in Cannes an der Croisette, gleich neben dem PMU, einem Wettbüro mit Café und Weinbar mit Meerblick und Seite an Seite mit Chanel und Gucci. Dort saßen »Damen« in Nerzen mit alten Italienern, deren Hände wieselflink unter den Pelzen umherwanderten, während sie auf Pferde wetteten,
Champagner tranken und sich allgemein amüsierten, bis es Zeit wurde, sich ins Hotel begleiten zu lassen. Der einzige Unterschied zwischen den Frauen in Nerzen und den anderen, die auf der Straße in Flughafennähe
standen, war die Höhe ihres Honorars.
Die Versuchung war groß, aber es war schon viel zu spät, um nach Monaco zu fahren und das Palais de la Scala zu erkunden. Zunächst einmal würde er
geschlossen haben, aber das war nicht der Hauptgrund.
Monaco hat das höchste Pro-Kopf-Einkommen der Welt, und die Sicherheitsmaßnahmen sind entsprechend. Auf je sechzig Einwohner kommt ein Polizeibeamter, und
Straßenkriminalität und Einbruchsdiebstähle sind nicht existent. Fuhr ich nachts um diese Zeit nach Monaco, um mir das Zielobjekt anzusehen,
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