Nick Stone - 06 - Feind ohne Namen
Anzugträger
schalteten ihre Handys ein, um ihr Tagwerk zu beginnen.
Im Empfangsgebäude hatten sich an der Passkontrolle gleich am Ende der Rampe zwei Schlangen gebildet.
Bemannt waren die beiden Schalter von deutschen
Polizeibeamten in grünen Uniformjacken und
verwaschen gelben Hemden. Sie trugen
Bürstenhaarschnitte und strenge Mienen zur Schau.
Suzy hielt den Berlinführer deutlich sichtbar in der Hand, als wir beide vortraten. Ein Uniformierter Ende zwanzig mit blonden Haaren, rosigen Wangen und einer rechteckigen randlosen Brille nahm unsere Reisepässe entgegen, verglich unsere Gesichter kurz mit den Fotos und klappte die Pässe dann zu, bevor er sie uns mit einem Nicken zurückgab. Wir murmelten unseren Dank,
betraten offiziell Deutschland und folgten den
Hinweisschildern zum Taxistandplatz. Der Checkpoint Charlie lag nur ungefähr zwei Kilometer nördlich der Bergmannstraße und war ein sehr beliebtes Touristenziel.
Wir konnten mit einem Taxi dorthin fahren, bevor wir zu Fuß zur Nummer 22 weitergingen.
Als wir in den hellen Sonnenschein hinaustraten,
schluckte ich zwei weitere Doxycycline-Kapseln, ohne mir die Mühe zu machen, Suzy welche anzubieten. Der Morgen war noch etwas kühl, als wir uns mit ungefähr dreißig weiteren Passagieren – vor allem Anzugträger mit ihren Handys am Ohr – anstellten. Elfenbeinfarbene Mercedes-Taxis rollten heran, um Gäste für die zwölf bis fünfzehn Kilometer lange Fahrt in die Innenstadt
aufzunehmen. Wir warteten schweigend; hier gab es noch immer zu viele unerwünschte Zuhörer.
Als wir endlich an der Reihe waren, stiegen wir in einen sechs bis sieben Jahre alten Mercedes mit
Kunstledersitzen. Der Fahrer, ein alter Türke, brauchte kein Englisch zu können, um zu verstehen, was Suzy sagte: »Checkpoint Charlie, Kumpel.«
»Ja, ja – Checkpoint Charlie, okay.«
Wir verließen den Flughafen Tegel, befanden uns
sofort in bebautem Gelände und kamen bald an der
Spandauer Zitadelle vorbei. Danach führte die Fahrt auf breiten Boulevards durch ältere Stadteile. Ich starrte zum Potsdamer Platz, wo die Mauer einst das Herz Berlins durchschnitten hatte. Wo sich früher Mauer und
Todesstreifen erstreckt hatten, schossen jetzt neue Hochhäuser wie durchsichtige Boviste aus dem Boden.
Dies war vermutlich die einzige Großstadt der Welt, die so viel Platz für die Neugestaltung ihres Stadtzentrums hatte. Milliarden wurden aufgewandt, mit denen überall futuristische Gebäude, breite neue Boulevards und von Landschaftsarchitekten gestaltete Freiflächen entstanden.
Bei meinem letzten Besuch waren hier nur die Mauer, Stacheldrahtrollen und zugemauerte U-Bahn-Eingänge zu sehen gewesen. Heutzutage war der neue U-Bahnhof
Potsdamer Platz längst wieder ein wichtiger
Verkehrsknotenpunkt. Ich fragte mich, ob das ASU ihn auf seine Liste möglicher Ziele gesetzt hatte.
Auf der anderen Seite des Platzes schossen im
Augenblick noch keine glitzernden Boviste aus dem Boden; dort standen stattdessen verfallende Fabriken und Lagerhäuser zwischen eingezäunten Industriebrachen, die noch auf eine Injektion von Chrom und Glitzer warteten.
Dann fuhren wir ebenso schnell wieder an Porsche-
Ausstellungsräumen und Hugo-Boss-Boutiquen vorbei, und als wir um die nächste Ecke bogen, lag der
Checkpoint Charlie vor uns. In seiner jetzigen Form als Denkmal sah er nicht viel anders aus, als ich ihn in Erinnerung hatte – nur die Mauer und die bewaffneten Grenzposten fehlten. Das weiße Wachgebäude in der Straßenmitte war weiterhin von Sandsäcken umgeben, und sogar das große Schild mit der viersprachigen Aufschrift Sie verlassen den amerikanischen Sektor stand noch.
Touristen stiegen aus einem Bus und strömten ins
Museum am Checkpoint Charlie. Während ich unser Taxi bezahlte, fiel mein Blick auf einen alten Amerikaner, der einem jüngeren Mann, vermutlich seinem Sohn, hier Erklärungen gab. Seine Uniform bestand heutzutage aus Jeans, einem Sakko und Tennisschuhen, aber er wusste offenbar noch viel über die bewegte Geschichte des Kontrollpunkts zu erzählen.
Die planierte Fläche östlich davon wartete darauf, bebaut zu werden, und war heute von Türken und
Bosniern besetzt, die an Ständen russische Fellmützen und ostdeutsche Schirmmützen und Orden verkauften.
Alles sah verdächtig neu aus und war vermutlich erst letzte Woche von derselben chinesischen Fabrik
hergestellt worden, die Penang mit ethnischen Masken belieferte.
Wir blieben vor einer Bar
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