Nick Stone - 06 - Feind ohne Namen
davon, dass ihre Lederjacke die Browning an ihrer rechten Hüfte bedeckte, bevor wir uns mit einem Kuss verabschiedeten. Als sie aus dem Coffee Shop auf die Straße trat und verschwand, drückte ich die Wahlwiederholung. »Hallo? Hörst du mich?«
»Ja, sehr gut. Rechts voraus sehe ich Marineblau …
Nähert sich der U-Bahn-Station … Jetzt ist er im
Gebäude. Alle drei nicht mehr zu sehen.«
Ich war bereits aufgestanden und trat auf die Cowcross Street hinaus. Suzy, die etwa zwanzig Meter Vorsprung hatte, befand sich schon fast auf Höhe des Pubs.
»Ich kontrolliere die U-Bahn-Station.« Bevor sie
weitersprach, konnte ich eine Lautsprecher durchs age und den Lärm in der Schalterhalle hören. »Alle drei nicht mehr zu sehen, suche weiter.«
Die Hintergrundgeräusche blieben laut, während sie die U-Bahn-Station absuchte. »Warte, warte, warte, ja …
Ich sehe die drei auf dem Bahnsteig, weiß aber nicht, in welche Richtung sie wollen. Sie sind nicht zusammen, stehen aber auf demselben Bahnsteig. Ich kaufe uns Karten.«
Eine Minute später war ich bei ihr. Sie begrüßte mich mit einem Lächeln und einer Umarmung, bevor wir
eingehakt zu den Drehkreuzen gingen. Hier gab es
überall Überwachungskameras.
»Sieh die Treppe hinunter.«
Eine breite schmiedeeiserne Treppe führte zu den
Bahnsteigen hinab. Über eine Reklametafel hinweg
konnte ich das obere Drittel des Hinterkopfs des
Informanten erkennen, und acht bis zehn Schritte von ihm entfernt war eine auffällige graue Strähne zu sehen.
Marineblau war uns am nächsten: Er saß auf einer Bank zwischen einer Schwarzen in mittlerem Alter mit zwei Tesco-Tragetaschen und einem Weißen, der seinen
Aktenkoffer zwischen die Füße gestellt hatte.
Suzy drängte sich gegen mich und nickte, während ich ihr liebevoll ins Ohr flüsterte. »Wir müssen einfach abwarten, bis …« Unmittelbar unter uns kam ein Zug in den Bahnhof geröhrt. Fahrgäste, die zusteigen wollten, schlurften nach vorn an die Bahnsteigkante. Marineblau und die beiden anderen standen von der Bank auf und schlossen sich den Zusteigenden an. »Scheiß auf die beiden anderen, die kennen uns nicht. Wir bleiben an dem Informanten dran. Du nimmst den Wagen hinter
ihm, ich den vor ihm.«
Sie gab mir meine Tageskarte und steckte ihre in den Entwerter am Drehkreuz. Als die Sperre gelöst wurde, gingen unter uns die Zugtüren auf. Ich folgte Suzy durchs Drehkreuz und hastete hinter ihr die Treppe hinunter. Sie ging rasch die andere Bahnsteighälfte entlang, wobei sie die Reklametafeln als Deckung benutzte. Mein Blick blieb auf den Hinterkopf des Informanten gerichtet. Um möglichst in seiner Nähe zu bleiben, musste ich in den Wagen unmittelbar vor seinem steigen. Ich folgte Suzy, hielt den Kopf gesenkt und mischte mich unter die wartenden Fahrgäste, bis sie an ihm vorbei war. Dann ging ich rasch zu meinem Wagen zurück, als der
Informant in den Zuge stieg.
Scheiße. Marineblau war zu demselben Wagen wie ich unterwegs. Umkehren konnte ich nicht mehr: Ich musste einsteigen, bevor die U-Bahn ohne mich abfuhr. Die Frau setzte sich so hin, dass sie dem Bahnsteig den Rücken kehrte, und das tat auch Marineblau. Ich nahm ihr gegenüber Platz und bemühte mich, mich nicht in ihren Tragetaschen zu verheddern.
Der Wagen war nur halb besetzt. Einige Jugendliche blieben stehen, weil sie cool aussehen wollten, aber alle anderen saßen. Ich blickte nach rechts durch die
Verbindungstür zum nächsten Wagen, konnte aber den Informanten nicht sehen. Ich stand halb auf, beugte mich nach vorn und griff nach einer liegen gebliebenen Beilage des Guardian auf einem der Sitze links neben der Schwarzen. Während eine Tonbandstimme uns alle
aufforderte, auf den Spalt zwischen Bahnsteigkante und Wagenboden zu achten, erhaschte ich einen Blick auf unseren Mann, der etwa in der Mitte des nächsten
Wagens auf meiner Seite saß. Ob der Informant wusste, dass er beschattet wurde, war nicht zu erkennen.
Marineblau ahnte jedenfalls nichts davon. Er ließ seine Hände zwischen den Knien hängen und starrte
ausdruckslos geradeaus. Das war’s vorläufig; ich durfte ihn nicht länger ansehen und erst recht keinen
Blickkontakt herstellen: Ich wollte nicht jemand sein, an den er sich später erinnern würde.
Die Türen schlossen sich, und der Zug fuhr rumpelnd an – zunächst noch oberirdisch, auch wenn die
schmuddeligen Klinkermauern auf beiden Seiten sehr nahe an den Zug heranrückten. Ich studierte
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