Nick Stone - 06 - Feind ohne Namen
verrenkte sich im Liegen, um mit einer Hand in seine Jacke greifen zu können.
Dann zeigte auch Warren Stacey seinen Dienstausweis vor.
Inzwischen hatte Suzy die Taschen der Toten
ausgeleert und steckte den Inhalt in ihre eigenen, in denen sich schon die drei Messinghülsen befanden, die sie in der Diele aufgesammelt hatte.
»Noch einmal?«
Sie machte sich nicht die Mühe, sich umzusehen und zustimmend zu nicken; ich hörte sie nur wieder die Treppe hinaufstapfen.
Warren lag so auf dem Bauch, dass sein zur Seite
gedrehtes Gesicht auf dem Teppich ruhte. Sein Blick war auf meine schwarzen Überschuhe gerichtet. Jetzt hob er leicht den Kopf, und die Augen, die Blickkontakt mit meinen suchten, waren sehr ängstlich. Wer wäre das nicht gewesen? Aber das war sein Pech: Wem der Job nicht gefiel, sollte das Gehalt nicht nehmen.
»Kein Problem, Kumpel. Wir stehen auf derselben
Seite, ihr wisst es nur nicht. Aber wenn ihr hier Scheiß macht, verwandeln wir uns in euren schlimmsten
Alptraum. Kapiert?«
Er nickte und starrte dann wieder meine Überschuhe an.
»Was ist mit Ihnen, Russell?«
Der Glatzkopf blickte in die andere Richtung. »Wir wollen keine Schwierigkeiten.« Über den kahlen
Hinterkopf liefen beim Sprechen kleine Wellen. »Ich kenne eure Ausrüstung. Ich schätze, dass ihr von einer staatlichen Stelle seid. Wir wollen hier nur lebend rauskommen, okay? Von uns habt ihr kein Drama zu
erwarten.«
Suzy kam die Treppe herunter und ging in die Küche.
»Das höre ich gern. Akzeptiert einfach, dass ihr in der Scheiße sitzt, okay? Das passiert jedem mal. Tut einfach, was ich sage, dann kommt ihr hier heil raus. Wir fesseln euch jetzt, und dann hauen wir ab. Später kommen Leute vorbei, um euch freizulassen – das kann in einer Stunde, vielleicht aber auch erst morgen sein. Habt ihr das verstanden?«
Beide Köpfe nickten.
»Gut. Tut alles, was sie sagen, dann behaltet ihr eure Jobs. Aber baut ihr Scheiße, erlebt ihr vielleicht nicht, wie eure Kinder aufwachsen. Die Leute, für die wir alle arbeiten, können echt gemeine Dreckskerle sein.«
Ich kniete nieder, legte die MP5 neben mich, zog die Bänder aus meinen Überschuhen heraus und benutzte sie dazu, beiden die Hände auf den Rücken zu fesseln.
»Wartet einfach, bis ihr freigelassen werdet, okay? Macht keinen Scheiß.«
Ihre Ausweise steckte ich in meine Brusttasche.
Warrens Schultern zuckten, als er gegen Tränen
ankämpfte, statt zu begreifen, dass er verdammtes Glück gehabt hatte.
Ich kontrollierte die Zeit auf seiner sportiven
Taucheruhr. Es war wenige Minuten vor 22 Uhr.
35
Ich knipste das Licht aus, schloss die Wohnzimmertür hinter mir und ging dann in Richtung Küche, wobei meine Überschuhe die bereits von Suzy zurückgelassene Spur aus Blut und Knochensplittern noch verstärkten.
Der Lichtstrahl ihrer Maglite glitt über den auf dem Küchentisch ausgebreiteten Tascheninhalt der jungen Frau. Ich trat näher heran. »Warum zum Teufel hast du sie erschossen? Was ist, wenn sie nicht mal …«
Die Tragetüte raschelte, als Suzy sie hochhielt, und ich sah mehrere harte Zylinder, die das dünne
Kunststoffmaterial ausbeulten. »Hättest du ihr diese Chance geben wollen?«
Ich nahm ihr die Tragetüte ab, stellte sie auf den Tisch und holte drei große Sprühdosen heraus, die hoffentlich weiterhin nur roten Autolack enthielten. Die Dosen stellte ich neben ihre übrigen Habseligkeiten auf dem
Küchentisch: achtzig Pfund in Scheinen und etwas
Kleingeld, eine Rückfahrkarte nach King’s Cross und eine Quittung für ein Käsebaguette. Dazu kamen noch ein Handy und ein einzelner Sicherheitsschlüssel für die Haustür.
Ich griff nach dem Mobiltelefon und schaltete es mit einem in Gummi gehüllten Finger ein, als nebenan bei Billy und Maureen wieder das Licht anging. Maureen hatte das Ausgehen keinen Spaß gemacht. »Scheiße, du musst einem alles verderben, was?« Der Fernseher wurde angestellt, als ihre schrille Stimme nach oben
verschwand. »Der Karaokeabend ist der einzige schöne in der Woche, und du Scheißkerl hast ihn mir
verdorben!« Und wer Cheryl auch sein mochte – sie war ohnehin nur eine große fette Schlampe, und er konnte sie gern haben.
Das Display des Motorola leuchtete auf, dann
verlangte es die PIN. Ich versuchte es mit 1234. Nichts.
4321.Wieder nichts. Jetzt hatte ich nur noch einen Versuch. Ich tippte eine willkürliche Zahlenfolge ein, aber das Ding schaltete sich ab. Scheiße.
Ich zog Suzys Kopf so nahe
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