Nick Stone 06 - Feind ohne Namen
»Befragungen«, die in solchen Wohnungen stattfanden, ein Drama gab.
Die Wohnungstür fiel hinter uns ins Schloss, und ich sperrte zweimal ab. Wir gingen die Treppe hinunter, traten auf den Warwick Square hinaus und wandten uns nach rechts, um zur nächsten Durchgangsstraße zu gelangen. Nach ungefähr fünf Minuten schafften wir es, ein schwarzes Taxi anzuhalten, und Suzy verfiel in den ganz speziellen Tonfall, den sie für Taxifahrer von Penang bis London reservierte. »Farringdon, mein Lieber.«
»Und wohin dort, Schätzchen?«
»Ach, einfach zur U-Bahn-Station.«
Wir folgten dem Embankment und kamen bald an den neu aufgestellten Betonhindernissen vorbei, die Selbstmordattentäter davon abhalten sollten, bis vors Parlamentsgebäude zu fahren. Im Autoradio lief eine Sendung über den für London ausgerufenen erhöhten Alarmzustand. Irgendein Blödmann aus dem Büro des Oberbürgermeisters behauptete, die verschärften Sicherheitsmaßnahmen würden Touristen beruhigen, statt sie abzuschrecken. Daraufhin meldete unser Fahrer sich zu Wort. »Ich hab schon viel amtlichen Scheiß gehört, aber will dieser Junge uns verarschen oder was?«
Ich sah auf meine Traser. Es war 18.45 Uhr, und der Treff war für 20 Uhr angesetzt, sodass wir reichlich Zeit haben würden, die Umgebung zu erkunden und unsere Positionen einzunehmen, sobald wir dort ankamen.
Wir bogen an der Blackfriars vom Embankment ab, fuhren in Richtung Farringdon weiter und mussten an einer Ampel halten. Mir fiel ein Ford Mondeo auf, der am linken Straßenrand parkte, während ein Motorradfahrer so dicht neben der Fahrertür stand, dass sein Sturzhelm fast durchs Fenster hineinragte. Der Ford war mit zwei Personen, einem Mann und einer Frau, besetzt. Sie beugte sich auf dem Beifahrersitz nach rechts, um mitzureden, während ein weiterer Motorradfahrer dicht hinter ihnen hielt. Ich sah zu Suzy hinüber und stellte fest, dass sie diese Szene ebenfalls beobachtet hatte. Das Quartett war ein großes Überwachungsteam, das entweder darauf wartete, dass die Zielperson auftauchte, oder sie aus den Augen verloren hatte und nun beriet, was als Nächstes zu tun war. Die Beschatter gehörten vermutlich zu der staatlichen Überwachungsorganisation E4, die von Terroristen bis zu zwielichtigen Politikern alle möglichen Verdächtigen im Auge behielt.
Als die Ampel auf Grün umsprang, rasten die Motorradfahrer in entgegengesetzte Richtungen davon, und der Mondeo wendete über den durchgezogenen Mittelstrich hinweg, sodass der gesamte Verkehr zum Stehen kam. Unser Fahrer beobachtete das Spektakel in seinem Rückspiegel. »Manche Leute tun einfach alles, um die Citymaut zu vermeiden.« Er lachte über seinen eigenen Scherz, während Suzy nachdenklich nickte und sich neben mir zurücklehnte.
Keine zehn Minuten später tauchte vor uns ein Kontrollpunkt auf, der zu dem um die Londoner City gezogenen Ring aus Stahl gehörte. Bewaffnete Polizisten standen neben zwei Fahrzeugen mit eingeschalteten Dachblinkleuchten. Der Taxifahrer lehnte den Kopf zurück. »Keine Angst, wir biegen vorher ab. Aber heut ist schwer was los, stimmt’s? Was das wieder zu bedeuten hat?«
Suzy schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung, Schätzchen. So ist es in letzter Zeit wohl dauernd, oder?«
»Manchmal schon, manchmal nicht. Taxifahren ist heutzutage die reinste Lotterie. Und schuld an allem ist dieser Bin-Laden-Spinner, sag ich immer.«
Er lachte in sich hinein, als er auf die Cowcross Street abbog, an der ich vor uns die U-Bahn-Station Farringdon sehen konnte. Clerkenwell galt heutzutage als todschick. Die alten Lagerhäuser waren alle in Lofts für Typen aus der City umgebaut worden, die hier nur einen kurzen Spaziergang von der Square Mile entfernt wohnten, und jeder zweite ehemalige Ladeneingang führte in eine Bar.
Wir bezahlten den Taxifahrer vor der U-Bahn-Station. Das Starbucks musste irgendwo in der Nähe liegen.
»Der Informant trägt einen blauen Anzug mit weißem Oberhemd und hält ein Exemplar des Evening Standard in der rechten Hand«, hatte der Jasager uns mitgeteilt. »Außerdem trägt er einen schwarzen Regenmantel über dem linken Arm.«
Suzy war für den Ablauf des Treffs verantwortlich. Sie würde bei einer Tasse Kaffee im Starbucks sitzen und auf dem Tisch vor ihr würde ein zusammengefaltetes Exemplar des Independent liegen. Der Informant sollte an ihren Tisch treten und sie fragen, ob sie ihm den Weg zur Wohnsiedlung Golden Lane erklären könne. Suzy würde verneinen,
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