Nickel: Roman (German Edition)
Wald. Rechts vom Pfad war das Gras niedergedrückt. Jemand war noch kürzlich dort gewesen, und zwar kein Tier, das sich dort ausgeruht hätte – die Stelle lag zu dicht an der Straße.
Da sah ich hinter der niedergedrückten Stelle etwas Rosafarbenes aufblitzen – ein Stück weiter den Pfad entlang, schon fast am Fluss. Da war irgendetwas. Ich ließ mein Fahrrad stehen und sprang über die Leitplanke. Ich hatte das rosa Ding nur gesehen, weil der Wind es mir gezeigt hatte, daher versuchte ich von meinem Fahrrad aus in gerader Linie darauf zuzusteuern.
Ich ging langsam, konzentriert und blendete alles andere aus. Einmal stolperte ich, blieb aber auf Kurs. Der Wind belohnte mich, weil ich ein braver Junge war. Es war ein rosa Haarband, groß genug für ein Mädchen in Shelbys Alter. Im Schlamm daneben fand ich einen riesigen Stiefelabdruck. Es war ein kompliziertes Profil und ich machte mir eine kleine Skizze in meinem Notizblock. In der Mitte waren tiefe Rillen, beinahe so, als hätte jemand einen Nagel mitten durch den Schuhabdruck gezogen. Ich nahm das Haarband auf und schüttelte den Schmutz ab. An einer Seite entdeckte ich ein paar dunkelrote Fleckenauf dem rosa Stoff. Das war garantiert kein Muster. Als ich mich vom Fluss abwandte und auf den Weg zum Park machte, fühlte ich mich beobachtet.
Ich war ein paar Stunden zu früh dran, aber das machte mir nichts aus. Ich nahm das Haarband mit zur Bank und winkte Augenklappe zu. Er winkte nicht zurück. Ich setzte mich und döste ein. Bescheuert. Als ich aufwachte, hielt ich das Haarband in der völlig verkrampften Faust an die Brust gedrückt. Ich hatte geträumt: Ein Dämon mit einem Gesicht aus den schwärzesten Abgründen meiner Erinnerung hatte mich verfolgt, doch meine Füße hatten im Schlamm festgesteckt. Ich atmete tief durch, verdrängte den Traum und wartete auf Arrow. Um Punkt vier Uhr war sie da. Ich ließ sie zu mir kommen.
Sie trug einen kurzen blaugrün karierten Rock, eine brave weiße Bluse, eine kurze Krawatte passend zum Rock und einen grauen Pulli. Sie setzte sich neben mich auf die Bank. Ich roch ihr Parfüm; es roch nett. Ich wollte die Arme um sie legen, aber das gab unsere Beziehung natürlich nicht her. Ich sagte: »Du hast gar nicht erzählt, dass du auf eine Privatschule gehst.«
»Mir war nicht klar, dass ich das tun müsste.«
Ich lächelte, sie dagegen nicht. Arrow war das Lächeln vermutlich vergangen. Ich reichte ihr das Haarband. »Erkennst du das?«
»Wo hast du das gefunden? Shelby hat genau so eines!«
»Weißt du, ob sie es an dem Tag getragen hat, als sie verschwunden ist?«
»Nein, keine Ahnung, aber könnte sein. Ich sehe in ihrem Zimmer nach. Wo hast du es gefunden?«
»An dem Flüsschen, ein paar Meilen von eurem Haus. Ichbin rüber zur Bibliothek und wieder zurück gefahren. Auf dem Rückweg hab ich es entdeckt.«
»War da sonst noch was?«
Ich dachte an den Stiefelabdruck und sagte: »Nein, nur das.«
Da begann sie zu weinen. Ich überlegte, ob ich ihre Hand nehmen sollte, aber wie sie selbst gesagt hatte, ich war ja nur ein Kind. Ich ließ sie weinen. Schließlich schniefte sie und sagte: »Also wurde sie entführt. Das beweist es so ziemlich.«
»Wenn es ihres ist, dann ja, würde ich auch sagen. Aber so oder so, das ändert nichts an meiner Arbeit.«
»Soll ich es den Cops geben?«
»Warum nicht? Aber ich glaube kaum, dass dir das weiterhilft. Die hätten es eigentlich selbst finden müssen.«
Wir saßen nebeneinander und das alles hing drückend über uns. Schließlich brach Arrow das Schweigen. »Nickel?«
»Ja?«
»Wie viel wird es mich kosten, wenn du mir hilfst? Ich habe nicht viel. Aber ich tue, was ich kann, um dich zu bezahlen.«
»Ich will nichts dafür haben. Ich hatte gerade erst ein, zwei lukrative Sachen und bin gut bei Kasse.«
»Danke.«
»Hör zu, ich haue ab und recherchiere noch ein bisschen. Da ist irgendwas komisch, das lässt mir keine Ruhe. Ich melde mich bald wieder. Ping mich an, wenn du mich brauchst.«
Sie hüpfte von der Bank, winkte mir kurz zu und war fort. Es machte mich ganz fertig, sie gehen zu sehen, aber ihr hinterherzusehen war sehr nett. Ich winkte Augenklappe zu, erzielte die übliche Reaktion und ging zu meinem Fahrrad. Bald würdeich eine Jacke tragen müssen; es wurde allmählich kalt draußen. Ein Vater oder eine Mutter hätten mich ohne Jacke wahrscheinlich nicht vor die Tür gelassen. Ich fuhr nach Hause, den Kopf voller Haarbänder, Blutflecken und
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