Nicodemus
rasch. »Amadi, du musst mir glauben. Hier sind unbekannte Kräfte am Werk.«
Amadi hielt inne und stellte ihre nächste Frage wesentlich behutsamer. »Magister, habt Ihr unabhängig von Euren Vierfachgedanken jemals Visionen gehabt?«
Verwundert sah er sie an. »Nein, natürlich nicht. Glaubst du etwa, ich hätte den Verstand verloren?«
»In welcher Beziehung steht Ihr zu der Druidin Deidre?«
»Der Druidin?«, fragte er verständnislos. »Deidre? Ich stehe in überhaupt keiner Beziehung zu ihr. Sie hat mich um ein Gespräch mit Nicodemus gebeten, und im Interesse des Konzils habe ich ihr zugesagt.«
Er stockte. »Du hältst mich für verrückt und glaubst, die Druidin hätte etwas damit zu tun?«
Amadi schüttelte den Kopf. »Dieser Junge. Er strahlt eine gewisse Macht aus. Warum habt Ihr mir nicht gleich zu Anfang erzählt, dass er mit der Prophezeiung in Verbindung steht?«
»Weil diese Verbindung überhaupt nie bewiesen wurde.«
Amadi legte den Kopf schief. »Mir scheint, der Junge zieht unwissentlich Zauberer – Euch und wahrscheinlich die Druidin – auf seine Seite. Bedenkt, dass seine Mitschüler an fehlgeschlagenen Zaubern sterben. Möglicherweise ist er verantwortlich für Eure Sicht der Dinge.«
»Worauf willst du hinaus?«
»Denkt doch bloß an seine Narbe – ein Zopf, durchbrochen von einer Inkonjunktrune. In der Gegenprophezeiung heißt es, der Unglücksbote werde ›das Netz des Halkyon auflösen‹ und die Verflechtungen mit den Königreichen der Menschen ›durchtrennen‹.«
Shannon erhob sich und begann im Zimmer auf und ab zu laufen. »Amadi, du zweifelst an meinem Verstand, während du gleichzeitig einen gewöhnlichen Kakographenlehrling für den Anti-Halkyon hältst? Das ist Wahnsinn. Wie kannst du glauben, dass ausgerechnet ein armer Junge der Unglücksbote ist? Der Meister der Dämonenanbeter?«
»Ich suche nach etwas, das die jüngsten Todesfälle erklärt. Dies ist das Einzige, mit dem sich alle Tode erklären lassen.«
Shannon schüttelte energisch den Kopf. »Aber ich habe doch mit dem Provost gesprochen. Und er stimmt mit mir darin überein, dass Nicodemus’ Narben sehr wahrscheinlich das Werk einer fanatischen Mutter sind.«
»Ich habe mit Provost Montserrat gesprochen. Er glaubt auch, dass wir unsere Einschätzung noch einmal überdenken sollten.«
Ihm wurde speiübel. »Du glaubst also, dass Nicodemus die Kakographen umgebracht hat?«
Amadi schüttelte den Kopf. »Als die Jungen gestorben sind, hat Nicodemus gerade die Neophyten unterrichtet. Außerdem gibt es bislang keine Beweise, dass irgendeiner der beiden Schüler ermordetwurde. Die Gegenprophezeiung lehrt uns, dass das Chaos dem Unglücksboten auf Schritt und Tritt folgen wird. Wenn ich recht habe, dann ahnt Nicodemus nichts von seiner wahren Natur, dennoch treibt er diese grauenhaften Ereignisse mit unbekannten Kräften voran.«
Shannon blieb stehen. In der Tat würde es chaotisch zugehen, wenn Amadi erst einmal öffentlich verkündete, dass die Gegenprophezeiung sich erfüllte. Er musste sie um jeden Preis davon abhalten, und er musste den Speicherturm schützen. Wenn er doch nur für einen einzigen Tag seine Freiheit zurück hätte, dann könnte er die Kakographen ins Compluvium schleusen, wo sie von den Wasserspeiern beschützt würden.
»Magister«, sagte Amadi, »Ihr müsst zugeben, dass Nicodemus gemeint sein könnte.«
Auf einmal witterte Shannon eine Chance. Etwas Fingerspitzengefühl und ein kleiner Bluff waren hier vonnöten. Er ging zurück zu seinem Stuhl, blieb aber stehen. »Bestimmt wird sich deine Verbindung freuen, dass du so viel Wirbel um die Gegenprophezeiung machst.«
Amadi kniff die Augen zusammen. »Den Wächtern ist es untersagt, sich in die Politik zu mischen.«
Zeit für ihn, ein wenig zu bluffen. »Man könnte dich mit den Prophezeiungsgegnern in Verbindung bringen. Und sollte Nicodemus wirklich gefährlich sein, dann könnte der Eindruck entstehen, du ließest ihn sich ein wenig austoben, die Leichen noch etwas höher stapeln, du sammeltest mehr Blut und mehr Argumente, um deine Behauptung hinsichtlich der Gegenprophezeiung zu untermauern.«
Amadis Züge verrieten nicht, was sie dachte. »Was wollt Ihr damit sagen, Magister?«
»Ich will sagen, dass, wenn du vorhast, der Gegenprophezeiung das Wort zu reden, dann solltest du Nicodemus und die anderen Jungen aus dem Speicherturm sorgfältig im Auge behalten. Du solltest alles daransetzen, weitere Todesfälle zu verhindern.
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