Nicodemus
über die Menschheit zu herrschen, führte zu den Blutfehden, und der daraus resultierende Krieg und das Chaos haben die Menschheit fast ausgerottet. Deshalb gilt die Beschäftigung mit Primus als Götterlästerung.«
Shannon hielt inne und atmete tief durch. »Aus diesem Grund möchten die neuzeitlichen Gelehrten nur allzu gerne daran glauben, dass Primus nicht mehr existiert. Andernfalls könnte das neue Religionskriege entfesseln, und mit dem Frieden in den Königreichen wäre es vorbei.«
Nicodemus nickte eifrig. »Aber Ihr, Magister, Ihr denkt anders. Ihr glaubt doch, dass Primus existiert?«
»Ich glaube es nicht nur, ich weiß es sogar.«
»Aber woher?«
Shannon kniff sich in den Nasenrücken. »Weil das Letzte, was ich gesehen habe – das, was mir meine Sehkraft geraubt hat –, zwei Sätze in Primus waren.«
Deidre schaffte es halb um den Turm, bevor sie etwas von hinten traf.
Ein rasender Schmerz über der linken Schulter streckte sie zu Boden. Die Eisenstange, die sie dem Wesen in den Arm getrieben hatte, knallte neben ihr in den Staub. Es musste sie zurückgeworfen haben.
Sie rollte herum und kam gerade noch rechtzeitig auf die Beine, um den von oben kommenden Hieb mit der verbleibenden Stange zu parieren. Sie konterte mit einem blitzschnellen Stoß.
Das Wesen, das immer noch in einen weißen Stoff gehüllt war, sprang zurück. Mit beiden Händen führte es das Langschwert, griff an. Deidre schlug die Klinge mit der Stange zu Boden, trat an den Gegner heran, um ihm den Ellenbogen ins Gesicht zu rammen.
Etwas, das sich wie eine Nase anfühlte, wurde mit einem Mal flach. Das Wesen schrie auf und fiel. Als es auf den Boden schlug, wirbelte eine riesige Staubwolke auf.
Und Deidre hechtete nach dem Langschwert. Doch das Ungeheuer war immer noch zu schnell, es gelang ihm, sich ihr zu entwinden und das Schwert fest zu packen. Fauchend schlitzte es ihr damit die Seite auf.
Die Klinge schabte über Deidres Rippen, und die Welt um sie herum wurde auf einmal schwarz, während sie auf den Rücken fiel. Das Wesen versuchte sich nun erneut aufzurappeln, doch Deidre stieß ihm die Stiefelspitze in den Hals, und mit einem erstickten Schrei stürzte es. So kam Deidre als Erste wieder auf die Beine und schlug ihm mit der Stange heftig aufs Schienbein.
Dann ergriff sie die Flucht.»Ihr habt Euer Augenlicht durch Primus verloren?«, fragte Nicodemus erstaunt.
Der Zaubermeister rieb sich müde die Augen. »Die Sache hat schon in Astrophell ihren Anfang genommen. Damals habe ich bei den Ränkespielen mitgemischt und war obendrein noch ein wenig überheblich. Ich habe mich in die Großnichte des Provost verliebt, eine Analphabetin. Als sie ein Kind von mir erwartete, haben wir heimlich geheiratet.«
Nicodemus nickte stumm.
»Natürlich erfuhren meine Feinde von meiner schwangeren Frau und lösten einen Skandal aus. Diesen Skandal nutzten die Unzufriedenen der verschiedenen Gruppierungen aus, besonders die, die sich wünschten, der Orden möge mehr Macht über die Königreiche ausüben. Um den Skandal zu vertuschen, plante der Provost, meine Frau und unser Kind zu trennen und an verschiedene geheime Orte zu schicken, wo weder ich noch die Aufwiegler sie finden könnten. Ich war verzweifelt. Ich musste noch vor der Geburt handeln, bevor der Provost die beiden trennen konnte. Und so … habe ich um göttliche Hilfe gebeten.«
»Ihr habt unseren Gott gefunden? Ihr habt mit Hakeem gesprochen?«
Shannon nickte.
»Aber niemand … Ihr …«, stammelte Nicodemus. »Wie?«
Über die Lippen des Zauberers huschte ein Lächeln. »Es ist schon beinahe eine Legende unter denen, die in eine literarische Hochburg eindringen wollen. Meine Forschung über die Intelligenz von Texten kam mir dabei zugute. Ich habe einen vierfachen Kognitionszauber geschrieben, der es mir ermöglicht hat, wie die Hochburg zu denken.«
»Wie die Hochburg zu denken?«
Der alte Zauberer tippte sich an die Stirn. »Unmöglich, ich weiß, aber vergiss nicht, dass man mit einer vierfachen Kognition in der Lage ist, das Undenkbare zu denken. Besser kann ich es dir auch nicht erklären, es sei denn, ich wende den Zauber bei dir an. Der wichtigste Teil jedoch war, dass ich mit diesem Text bewaffnet in dieHochburg eingedrungen bin und gegen die Sprachwehre gekämpft habe. Um den Tempel unseres Gottes zu erreichen, habe ich eine halbe Meile lang gestrichen, gekürzt und umgeschrieben.«
Shannons Lächeln wurde breiter. »Als ich ihn endlich
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