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Nicodemus

Nicodemus

Titel: Nicodemus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blake Charlton
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dass du der Halkyon bist?«
    »Ich –«, stotterte Nicodemus. »Haltet Ihr mich für töricht, dass ich der Druidin Glauben schenke?«
    Der alte Zauberer schüttelte den Kopf. »Nicht im Mindesten. Abgesehen von den gegenwärtigen Umständen, die dich mit der Prophezeiung in Verbindung bringen, ist mir aufgefallen, welch ungewöhnlichen Einfluss du auf manche Texte hast. Erst gestern Nacht hast du die Wasserspeierin verschrieben und zugleich ihre Gedanken befreit. Solch ein Phänomen ist gänzlich unbekannt. Das mag geschehen sein, weil du der Halkyon bist, es mag aber auch auf andere Weise mit der Prophezeiung zusammenhängen. Aber du hast meine Frage noch nicht beantwortet. Glaubst du, dass du der Halkyon bist?«
    »Ich habe mir noch nicht … Ich weiß nicht, ob ich es bin oder nicht. Wahrscheinlich habt Ihr recht, wir sollten keine voreiligen Schlüsse ziehen. Aber mir geht es um die Kakographie. Wenn mir der Mörder auf magische Weise meine Fähigkeit, richtig zu schreiben, genommen hat, dann kann ich sie vielleicht auch auf magische Weise wieder zurückbekommen.
    Shannon verschränkte die Arme vor der Brust. »Was ist dir wichtiger,die Prophezeiung zu erfüllen oder von deiner Kakographie geheilt zu werden?«
    Nicodemus schüttelte den Kopf. »Wenn ein Dämonenanbeter meine Fähigkeiten geraubt hat, dann muss es dazwischen einen Zusammenhang geben. Magister, könnt Ihr das nicht einsehen? Womöglich bin ich kein wahrer Kakograph.«
    »Ein wahrer Kakograph?«, fragte Shannon mit erhobenen Brauen. »Nicodemus, selbst wenn wir deine Schreibschwäche vollständig ausmerzten, könnte es nicht alles rückgängig machen, was dir widerfahren ist. Ein Ende deiner Kakographie würde nichts daran ändern, wer du wirklich bist und worauf es ankommt.«
    Nicodemus traute seinen Ohren kaum. »Es würde alles verändern!«
    Shannon setzte sich wieder in Bewegung. Rasch holte Nicodemus den alten Mann ein. »Magister, wärt Ihr verärgert, wenn ich die Rechtschreibung erlernen würde?«
    Unbeirrt lief Shannon weiter. »Warum stellst du mir eine solche Frage?«
    »Weil Ihr meine Hoffnung, mich zu vervollkommnen, im Keim erstickt.«
    »Du kannst dich nicht weiter vervollkommnen. Du bist immer schon vollkommen gewesen, und du wirst nicht …«
    So weit sich Nicodemus erinnern konnte, war dies das erste Mal, dass er einem Lehrer ins Wort fiel. »Wenn ich bereits vollkommen bin, wenn ich nie mehr sein werde als Euer Lieblingsversager, dann weiß ich nicht, warum Ihr Euch solche Mühe gebt, mich am Leben zu erhalten!«
    Beide Männer blieben abrupt stehen.
    Auf einmal wurde Nicodemus bewusst, dass er die letzten Worte beinahe geschrieen hatte. Verlegen wandte er sich ab.
    Er hielt sich mit beiden Händen am Brückengeländer fest und versuchte Atem zu schöpfen. Tief unter ihnen kreiste ein Falke über den vereinzelten Felsblöcken und Kiefern. Einige dieser Bäume waren abgestorben und nur ihr verdörrtes Gerippe war noch übrig.
    »Lieblingsversager«, sagte Shannon gedehnt. »Verstehe.«
    »Ich weiß, dass Ihr aus jeder Generation einen zurückgebliebenenJungen auswählt«, erklärte Nicodemus. »Devin weiß es auch. Flammender Himmel nochmal, die ganze Akademie weiß davon!«
    Stille breitete sich aus, bis die Brise stärker wurde und ihre Roben lüpfte.
    Endlich begann Shannon mit leiser, rauher Stimme zu sprechen. »Die Verbannung von Astrophell hat mich beinahe zerstört. Alles habe ich verloren: meine Frau, meinen Sohn, mein Augenlicht und die Möglichkeit, weiter zu forschen. Der Kummer nagte an mir, drohte, mich vollständig zu verschlingen.«
    Nicodemus blickte sich zu seinem Mentor um.
    Azure hatte ihren Kopf hinuntergebeugt, so dass der Alte ihren Nacken kraulen konnte.
    »Meine Forschungsergebnisse waren jetzt nutzlos«, sagte der Zauberer düster. »In Astrophell hatte ich solch wunderbare Entdeckungen gemacht. Doch in dieser akademischen Provinz habe ich nicht einmal ein Viertel meines vorherigen Pensums geschafft. In Astrophell hat ein Kader brillianter Lehrlinge meine Forschung vorangetrieben. In Starhaven dagegen brachte ich Kakographen im ersten Semester bei, sich nicht selbst zu verletzen. Die herrschende Politik erinnerte mich andauernd an meine Sünden.«
    Der alte Zauberer rümpfte verärgert die Nase. »Ich habe Jahre damit verschwendet, meinem verlorenen Leben hinterherzutrauern. Bis eines Tages ein junger Kakograph zu mir kam und mir unter Tränen für alles dankte, das ich für ihn getan hatte. Und in

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