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Nie mehr Nacht (German Edition)

Nie mehr Nacht (German Edition)

Titel: Nie mehr Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirko Bonné
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nicht mehr. Ich schlief nun in einem kleinen Zimmer in der ersten Etage, das unmittelbar ans Treppenhaus grenzte. Sein Fenster blickte über den Hotelhof und die Mauer hinweg auf verschneite Felder. Es war warm in dem Zimmer und schon früh am Morgen hell. Sobald ich mich dort hinlegte, schlummerte ich ein, und nie, kein einziges Mal, träumte ich schlecht. In dieses kahle Zimmer, mein letztes, hängte ich Catinkas Zeichnung von dem Mann und der Blume, die er an einem Blatt hielt, als wäre es eine Kinderhand.
    Ich drückte die Reißzwecken in die Wand, trat einige Schritte zurück und hörte, wie im Hof eine Autotür zugeschlagen wurde. Als ich aus dem Fenster sah, stand unten ein schwarzer Kombi, Anniks oder Serges BMW , dachte ich und ging hinunter.
    Ich lauschte an der Küchentreppe, doch es kam kein Klopfen. Noch einmal sah ich hinaus, diesmal vom Parterre aus, und hatte den Wagen unmittelbar vor mir. Es war nicht der schwarze 3er- BMW , sondern ein neuer großer Audi mit Hamburger Kennzeichen. Es klingelte – ein Klingeln, das ich nie gehört hatte. Lärmendes Schellen kam vom Haupteingang und zerschmetterte die Stille des Nachmittags.
    Es schellte noch mal, und noch ein drittes Mal. Dann Schritte die Stufen hinab, Schritte durch den Schnee vor den Fenstern nach hinten zum Kücheneingang. Ich schlich die Treppe hinunter, linste um die Ecke zur Tür und sah, draußen, mit hellem Schal und schwarzem Mantel, stand Kevin Brennicke. Er klopfte ans Türglas. Eine Hand an der Scheibe, lugte er herein.
    »Markus! Mensch, mach auf! Ich weiß, dass du mich hörst.«
    Ich malte mir aus, was passieren würde, wenn ich nicht öffnete. Mir gefiel weder die Vorstellung, dass er im Wagen wartete, dann wegfuhr, dann wiederkam, noch die Vorstellung, dass er einfach abhaute und nicht zurückkam, während ich mich so lange vor ihm versteckt hielt, bis ich endlich auch selbst das Weite suchte.
    Er trat einen Schritt zurück. »Komm raus! Das ist echt albern!«
    Damit hatte er recht, oder beinahe recht. Es war nicht albern, sondern kindisch, sich vor Kevin zu verstecken. Ich beobachtete ihn, wie er unter dem Carport stand, ratlos, und wie er sich dann umwandte und durch den Hof in Richtung der Pforte ging, die durch die Hotelmauer auf die Steilküste hinausführte. Ich folgte ihm in einigem Abstand durch den leeren Frühstückspavillon. Draußen vor der seewärts gelegenen Fensterfront sah ich Kevin über schneebedecktes Böschungsgras gehen, Hände in den Manteltaschen, Blick zum Himmel erhoben. Ein paar gegen die Kälte immune Möwen bildeten dort oben einen Pulk, aus dem immer wieder eine herabstieß, um diesen Fremden in dem dunklen Mantel auszukundschaften. Kevin trat an eines der Fenster und spähte herein. Aber das Weiß überall, draußen und drinnen, schien ihn zu blenden. Reglos stand ich zwischen abgedeckten Tischen, Stühlen und Sesseln, aber er sah mich nicht.
    Er trat vom Fenster weg und blickte lange über den Ärmelkanal. Dann ging er über die Böschung davon, und ich trat zu der Tapetentür und öffnete sie. Ich knipste das Licht an und verschwand in dem Gang zwischen Pavillon und Gerätehaus. Es war eiskalt in der Werkstatt, in der ich zwei Wochen zugebracht hatte, um sie leer zu räumen, auszumisten und so sorgfältig wieder einzuräumen, dass mein Vater es kaum hätte besser machen können. Das bullaugenartige Fenster in dem Schuppen blickte aufs Meer und davor den Sandweg, der den Steilhang zum Strand hinabführte. Dort sah ich Kevin Brennicke gehen, allein und in Gedanken versunken, genau wie ich selber dort ging, seit Juhls und die Kinder weg waren. Man hörte nichts als den Wind und entfernt das Geschrei der Vögel. » Plessen «, dachte ich mit einem Mal, » Plessen oder Klessen «, und ich spürte, wie die Erinnerung in mir widerhallte und wie ihr glockenartiger Ton sich mühte, ein Bild zu werden: die Bunthäuser Spitze.
    Ich kniff die Augen zusammen und blickte durch den halbdunklen Raum. Durch die Ritzen um die Torhälfte kam Licht herein und zeichnete ihren Umriss nach. Wie entsetzlich ich mich irrte! Alles in der alten Werkstatt und draußen vor dem Fenster erschien mir wirklich und lebendig, während ich mich fast aufgelöst hatte. Und immer noch setzte ich alles daran, meiner tödlich verzweifelten Schwester nachzustürzen. In meinem Leben kam ich nicht mehr vor, lebte aber zugleich in einer Welt, in der es nichts als Selbstversunkenheit gab und deren einziger Bewohner Markus Lee hieß. Wie war

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