Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nie mehr Nacht (German Edition)

Nie mehr Nacht (German Edition)

Titel: Nie mehr Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirko Bonné
Vom Netzwerk:
das möglich? Ich fixierte den Lichtumriss des halben Werkstatttors, sah dann durch das Fensterauge in den Dunst über der See, und da wusste ich, wohin ich gelangt war. Ich war am Ende. Bis ans Ende war ich gegangen, durch den letzten schmalen Gang und schließlich in eine dunkle kleine Werkstatt in einem Schuppen am Meer. Das alte Gerätehaus mit der zugemauerten Torhälfte und dem kreisrunden Fenster musste früher eine Garage gewesen sein. Ich hatte sie selbst aufgeräumt und alles darin vorbereitet, aber erst jetzt erkannte ich, zu welchem Zweck.
    Wie licht sein Haar war, wie grau. Und wie faltig, voller Krähenfüße um die Augen, wirkte Kevins Gesicht. Müde, ausgelaugt sah er sich in der Küche um. Ich erinnerte mich an sein Lachen, Leuchten, sein Sprühen und den mich immer öfter abschreckenden Tatendrang, als wir im Hafen bei meinem Lieblingsportugiesen saßen und er mir zum ersten Mal das Brückendossier zeigte. Unmöglich, dass er in einem Vierteljahr so gealtert war und plötzlich wie sein eigener Vater aussah, doch genau so kam es mir vor.
    »Meine Güte, du siehst aus, als wärst du grad durch den Kanal geschwommen!«, lachte er und schälte sich aus dem Mantel. »Wieviel hast du abgenommen? Doch sechs, sieben Kilo!«
    Er konnte nicht ahnen, dass ich mindestens sechzig Kilo, wenn nicht eine ganze Tonne abgenommen hatte, und ich hätte ihm das kaum begreiflich machen können.
    »Tee?«
    Er nickte, und ich setzte Wasser auf.
    Auch die Küche war inzwischen beinahe leergeräumt. Kevin begutachtete, was auf dem Tisch lag. Interessiert betrachtete er den Stapel verworfener Zeichnungen und Skizzen, die Cat nicht hatte mitnehmen wollen. »Du kannst sie zu Ende malen«, hatte sie gesagt, und auf diesem oder jenem Blatt hatte ich tatsächlich eine Linie fortgeführt oder etwas schattiert.
    »Vor ein paar Tagen hab ich mit deiner Mutter gesprochen. Sie erzählte von dem Hotel und der Familie dieses Dänen. Die Bilder sind hübsch. Viel Fantasie, die Kleine. Wie alt ist Catinka?«
    Ich antwortete nicht.
    Nächste Frage. »Und du, was machst du? Du bist wirklich seit Wochen allein in dem alten Kasten?«
    »Orange Oolong, leider ist kein anderer mehr da«, sagte ich und stellte ihm den dampfenden Becher hin. »Ich bin dabei aufzubrechen. In ein paar Tagen will ich verschwunden sein.«
    Er lachte. »Na! Für mich oder uns, für ziemlich viele bist du schon seit Längerem verschwunden. Wohin geht’s denn als Nächstes?«
    Auch darauf gab ich ihm keine Antwort. Kevin, mein früherer Freund Kevin Brennicke! Mit Bedacht stellte er jede Frage bloß ein einziges Mal. Kein Nachfragen, Insistieren, Bohren. Ich kannte ihn. Ich wusste, wie versiert er war im kaschierenden Smalltalk, im Herauskitzeln von Informationen. Ein klug sich zurückhaltender Klassensprecher war er gewesen, ein zwischen Schülern und Lehrern antichambrierender Schulsprecher. An der Hochschule hatte er Gesprächsrunden geleitet, bis er Nana bat, ihm zu assistieren, und sie alles vermasselte. Ich war nie schlau aus Kevin geworden und fragte mich auch jetzt, wovon er eigentlich ablenken wollte.
    »Willst du mir erzählen, dass du elfhundert Kilometer fährst, um rauszufinden, was ich vorhabe?«
    »Hab ich nicht gesagt.«
    Mühsam lächelnd, mit weit aufgerissenen Augen, suchte er nach der Möglichkeit zu einem Scherz, sah aber nur mich vor sich und verstummte.
    »Du hast überhaupt noch nichts gesagt, Kevin, kein einziges Wort. Trink den Tee. Wärm dich auf. Und dann wär ich dir dankbar, wenn du dich wieder ins Auto setzt und abschwirrst.«
    Eine Zeit lang standen wir so in der Küche, er am Tisch, ich überall und nirgends, und nippten an zwei heißen Bechern. Ich fixierte ihn, gab mir Mühe, ihn nicht aus den Augen zu lassen, und er spürte meine finsteren Blicke und wich ihnen nach Kräften aus.
    Irgendwann sagte er, er sei nicht meinetwegen gekommen.
    »Ach nein?«
    »Dass man von einem Job abspringt, Markus, weißt du, das kommt vor, öfter, als du denkst. Es gehört dazu, okay. Aber das heißt nicht, dass der Job nicht gemacht werden muss.«
    »Der Job muss gemacht werden!«, höhnte ich.
    »Diese Brücken, die du nicht machen kannst oder nicht mehr machen willst, sind mir wichtig, und ich glaube, auch ein paar anderen Leuten wären sie wichtig.«
    Ernst sah er mich an, der Macher von St:art , da war er.
    Ich lachte ihn aus. Ich konnte erst aufhören zu lachen, als nacheinander Erstaunen, Erschrecken und schließlich Erschütterung in seinem

Weitere Kostenlose Bücher