Nie mehr Nacht (German Edition)
nichts hast du sie zum Mond geschossen, sagte mein besseres, aufrichtigeres, gütigeres Ich.
Und wennschon. Viel länger und viel inniger, als ich Nana geliebt hatte, bewunderte ich die Landschaftsbilder der Nazarener und Romantiker. Verglichen mit Pferden, wie Franz Pforr sie malte, verglichen mit Carl Philipp Fohrs Zeichnungen von seinem Hund Grimsel oder Runges Blumenscherenschnitten kam mir das Geheimnis, das Nana aus ihrem Leben machte, seicht und nichtssagend vor. Wenn wir vom Lerchenfeld aus an der Eilenau entlanggingen und ins Eilbektal spazierten, wo Hamburg mitten in der Stadt aufhörte, dann war es unmöglich, mit ihr über etwas anderes zu reden als sie selbst und die Kleinen, die sie mit einem Mann haben würde, der nur für sie und ihre Kinder da wäre. Als würde man das Eilbektal zuschütten, so wäre meine Liebe zur Landschaftsmalerei abgestorben und eingegangen, hätte ich wie Kevin Brennicke und Nana Goettle verbissen weiterstudiert. Impressionisten, Expressionisten, Surrealisten, Konzeptionalisten, Pop Art und No Art und alle anderen Strömungen seither hätten meinen vagen Vorstellungen von einer konzeptfreien Naturbefragung den Garaus gemacht. Nachdem ich mit Ira im New Yorker Guggenheim durch eine Jackson Pollock-Retrospektive geirrt war, kam ich mir die zwei Stunden danach im Central Park wie ein orientierungsloses Gespenst vor. Vor den Riesenbildern von Alex Katz blickte ich in eine Leere aus Landschaften und Gesichtern, die eine einzige Fülle war. Mark Rothkos Dunkelgrün ließ mich verzweifeln. Ein halbes Jahr lang versuchte ich jeden Vormittag, ein nur annähernd so warmes Grün auf die Leinwand zu bannen, während immer mehr Zeichner und Maler in meinem Bekanntenkreis auf die neuen Möglichkeiten am Computer schworen. Digital wurde retuschiert ohne Skrupel. Mein Staunen über Fotografien zersplitterte in Zweifel.
Dank des Bruchs mit Kevin und Nana hatte ich es geschafft, mir eine rückwärtsgewandte Liebe zu erhalten, und inzwischen dauerte sie schon zu lange, als dass ich hätte einsehen können, wie sehr mein Festhalten an alten Meistern ein angstbesetztes Klammern war. Saß ich einer Selbsttäuschung auf, wenn ich darauf wartete, die pommersche Küste mit Runges oder Friedrichs Augen statt mit meinen eigenen zu sehen? Ja, zum Teufel, ja! Aber wenigstens war da eine Küste vor mir. Nana hatte keine Ahnung, wozu Malerei eigentlich gut sein sollte.
Kevin und ich sprachen uns nie aus, ich war dazu nicht bereit. Doch seit er auf mich zugekommen war, meine Petersburger Serie in St:art gebracht und mich ins Vertrauen gezogen hatte über seine Ansichten von Familie, Älterwerden, Miteinander, seither war zwar meinerseits ein gewisses Misstrauen ihm gegenüber geblieben, doch hatte ich Kevin wohl, ohne es zu wollen oder zu bemerken, verziehen. Hatte ich das? Zu Nana, die seine Frau wurde und jetzt Goettle-Brennicke hieß, sagte ich weiterhin nur Tag und tschüs, ja oder nein, vier auf Gartenpartys gerade noch höfliche Floskeln.
Dennoch waren mir wirkliche Hassgefühle fremd. Selbst einem Feind, wie Gordy einer für mich geworden war, wünschte ich nicht, er möge beim Wasserball ertrinken, so wie damals vor unseren Augen ein Mitschüler. Aus Ringen wurde Hassen. Wer hasste, kämpfte im Stillen mit einem Widersacher, den er sich einverleibt hatte. Da ich aber nicht kämpfte, ja mich nicht mal mit jemandem maß, sondern jedem Kräftemessen aus dem Weg ging, trug ich auch keinem etwas nach, grollte niemandem und hasste keine Menschenseele außer manchmal vielleicht mich selbst für mein ewiges Verdrängen.
Meine Eltern und ihr Enkel schienen erlittene Herabwürdigungen viel leichter als ich vergeben und sich mit jemanden aussöhnen zu können. Hass und Gekränktsein verwandelte ich dagegen in einen hartnäckigen, durch so gut wie nichts aufzulösenden Ekel, mit dem ich mich selbst härter bestrafte als denjenigen, dem meine Abscheu galt. Gordian hatte mich damals in Frankreich immer wieder wegen der Belgierin aus dem Zug aufgezogen. Vier Wochen lang traktierte er mich mit Spott und Herablassung und ließ ich ihn so lange stumm links liegen, bis die Sache grotesk wurde. Kevin und den Mädchen auf dem Zeltplatz, ja sogar deren Eltern war nicht etwa Gordys Verhalten peinlich: Einzig meine Weigerung, mich mit meinem Freund auseinanderzusetzen, empfand man als lachhaft. An einer Schnellstraße irgendwo bei Bordeaux, wo wir seit Stunden einen Wagen anzuhalten versuchten, ging er schließlich auf
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