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Nie mehr Nacht (German Edition)

Nie mehr Nacht (German Edition)

Titel: Nie mehr Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirko Bonné
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vorstellen zu müssen.
    »Es ging gar nicht um Traurigkeit!«
    Fast euphorisch klang das – sodass mir kaum etwas anderes übrigblieb als ihm beizupflichten.
    »Nein, bestimmt nicht«, erwiderte ich und fühlte mich dabei … schweren Herzens erleichtert, wenn es das gab. »Es war eine Ablenkung für sie, etwas richtig Gutes.« Und beinahe glaubte ich das auch selber in dem Augenblick: gut.
    Egal, was war, wir haben es geschafft, es war höchste Zeit, aber jetzt ist es raus, es ist ausgesprochen.
    Das L’Angleterre hatte tatsächlich eine Mauer. Außen war sie weiß getüncht und überwachsen von Efeu. Und auch ein Tor gab es, ein zweimannhohes, schwarzes Eisentor. Langsam rollten wir auf ein dunkles, leeres ehemaliges Pförtnerhäuschen zu, dessen Fenster und Türglas mit Pressholzplatten verrammelt waren. Am Tor lehnte breitbeinig im Licht einer Laterne der leibhaftige Niels und spielte Wachposten. Salutierend hob er eine Hand. Wir mussten halten, und der Junge in seiner Uniform aus Kapuzenshirt, Jeans und Turnschuhen nickte.
    Im Schatten des alten Pförtnerhauses stand noch jemand. Ein großer, bärtiger Mann in heller Hose und dunklem Blouson trat an das Tor und schloss es auf.
    »Da ist Ove«, sagte Jesse.
    »Hab ich mir fast gedacht. Wieso hat der das Tor abgeschlossen, wenn er es jetzt wieder aufschließt?«
    »Niels’ Vater ist nett«, lautete die Antwort.
    Schon ging das Tor auf, und der Weg auf den Hotelhof war frei. Zwischen den verschlossenen Fensterläden im ersten und zweiten Stock des Gebäudes sah ich den in die Jahre gekommenen Schriftzug L’ANGLETERRE , große verschnörkelte Lettern, die alle unbeleuchtet waren und an der dunklen Hauswand zu schlafen schienen. Ich fuhr an, bremste aber sofort, als Herr Juhl an mein Fenster kam. Ich ließ es nach unten fahren, und der Mann mit grauem Haarschopf und silbernem Vollbart gab mir die Hand und stellte sich vor, indem er seinen Vornamen nannte.
    Anscheinend gehörten wir alle zu einer großen Familie, es fragte sich nur, zu welcher.
    »Fahr links ums Haus, da ist ein Carport. Der Kücheneingang ist beleuchtet. Vorsicht, da lauert das Empfangskomitee.« Er beugte sich nach unten und sah in den Wagen. »Hallo, Jesse. Cat kann es kaum erwarten. Und, fit fürs Schwimmen morgen früh? Das Meer hat zwölf Grad. Richtig dänisch. Willst du nicht aussteigen?«
    »Zu müde. Hi«, kam es vom Beifahrersitz. Der Prinzregent hob eine Hand zum Gruß.
    »Ein schöner Benz«, meinte Herr Juhl. »Sieht aus wie neu. Fast zwanzig Jahre alt, oder älter?«
    »Dreiundzwanzig«, sagte ich. »Und nicht totzukriegen.«
    »Hi«, begrüßte Niels auch mich, als er wie aus dem Nichts materialisiert neben seinem Vater stand. Er streckte den Arm zum Seitenfenster herein, und Jesses Faust und Niels’ Faust berührten einander mit einem geschmeidigen Knöchelantippen.
    Wir fuhren ums Haus. Ich hörte den Kies knirschen und sah die Mauerinnenseite. Sie wirkte tiefschwarz, und auch ein paar alte Bäume im Hotelhof waren nichts als dunkel. Sie bewegten sich im Wind und hatten noch alles Laub. Nirgendwo auf dem Kies sah ich ein Blatt.
    In den letzten zwölf Stunden war es nicht immer leicht gewesen, und deshalb freute ich mich, dass Jesse auf diesen letzten paar Metern neben mir sitzen blieb. Zusammen waren wir losgefahren, und zusammen kamen wir an.
    »Ich muss immer an sie denken, immer und immer«, sagte er.
    Und ich nickte. »Ja, ich auch. Immer und immer.«
    Während Niels vorauslief und uns den Weg zeigte, grinste er übers ganze Gesicht. So langsam wie möglich fuhr ich um das Hotel. Es war größer, als ich gedacht hatte. Ein flacher Anbau mit breiter Glasfront erstreckte sich in Richtung Steilküste und Meer, ein Speisesaal vielleicht, ein Frühstücksraum, in dem aber alles dunkel war. Im Carport parkte ein alter Volvo Kombi, daneben war ein Stellplatz frei.
    Im Spiegel sah ich, dass uns Ove Juhl nachgeschlendert kam, kantig, freundlich, mit einem gut genährten, warmen Gesicht. So hatte ich mir den Vogelbeobachter nicht vorgestellt. Hier und da blieb er stehen und blickte in den Nachthimmel, dann sah es so aus, als würde er das Ohr an eine unsichtbare Wand legen und lauschen. Nein, du hast dir Juhls gar nicht vorgestellt. Nicht mal gedacht hast du an sie. Nur über deine tote Schwester, eure Eltern, die Aufmüpfigkeit des Jungen und vor allem über dich selber hast du dir den Kopf zerbrochen. Ein Familienmensch ohne Familie bist du, und du kommst hierher, durch halb

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