Nie Wirst Du Entkommen
Patienten verklagen mich, weil ich euch die Akten überlassen habe. Sie wollen Schmerzensgeld.« Sie grinste humorfrei. »Falls ich vorher Geld gehabt haben sollte, Aidan, dann war es das jetzt.« Sie strich Rachel über die Haare. »Zeig ihnen den Rest, Süße. Sie werden es früher oder später doch sehen.«
Mit einem Seufzen klappte Rachel den Kragen herunter. Ihr dickes schwarzes Haar, das bis zur Rückenmitte gereicht hatte, hing ihr in unregelmäßigen struppigen Strähnchen nur noch bis in den Nacken. »Eigentlich fühlt sich das ziemlich gut an«, sagte sie aufgesetzt fröhlich. »Ich bin um mindestens fünf Pfund leichter.«
Niedergeschmettert berührte Aidan ihren gerupften Kopf. »Oh, Schätzchen. Das tut mir leid.«
»Hör auf«, sagte Rachel brüsk und nahm Aidans Hand in ihre. »Das sind bloß Haare, Aidan. Im Übrigen habe ich schon einen Friseurtermin gemacht.«
Tess nickte. »Einer von Robins Kellnern arbeitet nebenbei als Friseur. Er macht das gaaaaanz zucker, Schnuckelschätzchen. Ein flotter Schnitt, ein paar Strähnchen …«
Rachel tätschelte Aidans Hand. »Und ich sehe besser aus als vorher.«
»Hört sich an, als hättest du die Situation gut im Griff gehabt, Tess«, bemerkte Abe. »Nur noch eine Sache. Welcher Cop hat ihre Aussage aufgenommen?« Tess blickte quer durch das Großraumbüro zu dem leeren Tisch neben Abes Platz, und Abe seufzte. »Ich hätte mir denken können, dass da was im Busch ist, als sie so lange beim Lunch war. Wo ist Mia jetzt?«
»Sie bekam noch einen Anruf, als sie in der Notaufnahme war. Ich habe sie gebeten, euch nicht anzurufen, bevor ich nicht mit euch gesprochen habe. Sie meinte, ihr solltet ihr Bescheid geben, wenn ihr so weit seid.«
»Dann, denke ich, muss ich jetzt mal los.« Abe strich mit dem Daumen über die Prellung an Rachels Wange. »Das nächste Mal rufst du uns an, Küken. Wir sind schon große Jungs. Wir können uns zusammenreißen.«
»Okay.« Jetzt, da es vorbei war, füllten sich Rachels blaue Augen mit Tränen. »Es tut mir leid.« Abe hockte sich vor ihren Stuhl, nahm sie in die Arme und streichelte ihren Rücken. »Oh, Abe, ich hatte solche Angst.«
»Ich weiß. Aber du warst toll. Sei einfach nur nicht noch einmal so tapfer, ja?«
Mit einem Schaudern nickte sie, und Abe versetzte ihrem Rücken einen abschließenden Klaps, bevor er sich aufrichtete und Tess an seine Brust zog. Er küsste sie auf den Scheitel. »Danke«, sagte er und ließ sie mit einem verlegenen Grinsen los. »Wenn sich der Staub ein bisschen gelegt hat, solltest du ihr beibringen, was du gestern Abend mit Clayborn gemacht hast. Sehr, sehr cool, Tess.«
»Mach ich. Aber jetzt geh. Mia wartet auf dich.«
Aidan setzte sich auf die Tischkante und verschränkte die Arme vor der Brust. »Und was mache ich jetzt mit dir, Küken? Ich habe ein paar Anrufe zu erledigen.«
»Wir können sie nach Hause bringen«, schlug Tess vor. »Vito und ich.«
Aidan warf einen Blick zu Vito, der an der gegenüberliegenden Wand lehnte. »Danke. Ich …« Das Telefon klingelte, und Tess bewunderte seine geschmeidigen Bewegungen, als er über den Tisch griff und den Hörer abnahm. »Reagan … Ja.« Sein Blick schoss zu ihr, und sein Gesicht wurde noch blasser. »Hol Spinnelli«, formte er lautlos mit den Lippen. Tess rannte los, aber als sie mit Spinnelli zurückkam, hatte Aidan schon aufgelegt und wählte erneut, um den Anruf zurückverfolgen zu lassen.
Spinnelli fixierte Rachel. »Mein Gott. Was ist denn mit dir passiert?«
Tess beobachtete Aidan und spürte, wie die Furcht erneut in ihr aufstieg. Er war sichtlich erschüttert, sagte aber nichts und begegnete auch nicht ihrem Blick. »Aidan? Wer war das? Was ist los?« Sie zupfte an seinem Arm. »Aidan, verdammt, sieh mich an.«
Langsam gehorchte er und starrte sie an, während die Sekunden verstrichen. Dann glitt sein Blick zu Rachel und blieb dort.
Und Tess begriff. Eine Hand auf dem Mund wich sie zurück. »Nein.« Sie dachte daran, wie sie Rachel gefunden hatte, verletzt, blutend, vollkommen verängstigt. Es war schlimm genug gewesen zu glauben, dass es sich um Rache für Rachels anonymen Tipp gehandelt hatte. Sie schluckte die bittere Galle, die in ihrer Kehle aufstieg.
»Du wirst beurteilt nach den Leuten, mit denen du verkehrst?«
Aidan nickte.
»Verdammter Mist«, murmelte Spinnelli. Er holte Murphys Stuhl unter dessen Tisch hervor. »Setzen Sie sich, Tess, bevor sie mir umkippen. Und wer sind Sie?«
»Vito
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