Nie Wirst Du Entkommen
»Bitte.«
Ohne auf seine Bitte einzugehen, straffte sie die Schultern und sah zu ihm auf. »Marc, jemand beobachtet mich und wusste, dass Rachel etwas mit der Anzeige wegen Vergewaltigung zu tun hatte. Dies geht über die Zerstörung meines beruflichen Leumunds hinaus – oder was immer dieser widerliche Mistkerl für ein Motiv hat. Jemand will mir schaden, und es ist ihm egal, wer sonst noch darunter zu leiden hat.« Sie seufzte. »Aber ich kann mir einfach nicht vorstellen, wer mich so sehr hasst.«
Donnerstag, 16. März, 14.00 Uhr
A idan fädelte sich in den Verkehr ein, das Handy am Ohr. »Kristen?«
»Aidan.« Kristens Stimme klang gehetzt. »Ich bin heute wirklich zugeworfen mit Arbeit. Kannst du dich kurzfassen?«
»Rachel ist verletzt.« Neben ihm starrte Rachel aus dem Fenster und schüttelte den Kopf.
»Ach du lieber Himmel.« Das Geraschel im Hintergrund hörte abrupt auf. »Schlimm?«
»Es geht. Ich bringe sie jetzt nach Hause.« Und davor fürchtete er sich. Er wollte die Angst und die Sorge in den Augen seiner Eltern gar nicht sehen.
Und die Schuldzuweisung. Sie würden das nicht bewusst tun, aber er und Abe hatten ihrem Vater versprochen, dass Rachel nichts geschehen würde. Natürlich war das ein dummes Versprechen gewesen.
»Kannst du mir verraten, ob einer von den Jungs, die durch ihren Tipp festgenommen worden sind, auf Kaution frei ist?«
Er hörte ihre Tastatur klicken. »Ja, einer. Andrew Poston ist heute Morgen auf Kaution freigekommen. Der Sohn eines Richters. Das wird ziemlich hässlich, Aidan.«
»Es ist mir scheißegal, wessen Sohn er ist. Ich will einen Durchsuchungsbefehl für Postons Haus.«
»Aidan …« Kristen zögerte. »Du solltest dich da nicht einmischen. Das ist nicht dein Bezirk.«
»Ich habe einen Anruf bekommen, direkt nachdem Tess Rachel zu mir gebracht hat. Die Stimme sagte, das nächste Mal würde es meiner Schwester schlimmer ergehen, falls ich mir nicht überlege, mit welchen Leuten ich verkehren wollte.«
Kristen schnappte hörbar nach Luft. »Abe hat mir von dem Portier und dem Zettel erzählt. War der Anrufer männlich oder weiblich?«
»Weiß ich nicht. Die Stimme war verzerrt.«
Kristen seufzte. »Also gut. Ich versuche, dir einen Durchsuchungsbefehl zu besorgen. Aber du musst mir versprechen, Murphy mitzunehmen.«
»Mach ich. Hör mal, ich hab noch einen Anruf auf der anderen Leitung.« Er drückte einen Knopf. »Reagan.«
»Murphy hier. Wir haben sie gefunden.«
Aidan brauchte einen Moment. »Bacons Videos? Du hast sie gefunden? Alle?«
»Das ist wahrscheinlich sein Kopienvorrat. Er hat sie säuberlich geordnet. Nach Jahren. Frauen und … Kinder.« Murphy klang, als ob ihm übel sei. »Bah. So was habe ich noch nie gesehen.«
»Murphy, die von …«
»Tess?«, fragte er. »Ich fordere eine Polizistin an, die sie durchsieht.«
»Danke. Triff mich bei mir zu Hause, und ich bringe dich auf den neusten Stand. Wir haben viel zu tun, und ich habe Tess versprochen, mit ihr zu Harrisons Totenwache heute Abend zu gehen.« Er ließ sein Telefon in die Tasche gleiten und bemerkte, dass Rachel ihn mit großen Augen anstarrte. »Was ist?«
»Du gehst heute Abend mit ihr weg? Mit Tess?«
»Das ist keine Verabredung, sondern eine Totenwache, aber, ja, ich gehe heute Abend mit ihr weg. Wieso?«
»Weil du eben rausmarschiert bist, als wolltest du sie nie wieder sehen.«
»Das ist doch albern. Das hat sie nicht gedacht.«
»Oh, und ob sie das gedacht hat. Ich habe ihr Gesicht gesehen, als du gegangen bist. Ich meine, es ist ja nicht ihre Schuld, aber du bist plötzlich völlig abweisend und kalt geworden. Ich wusste gar nicht, was ich ihr sagen sollte. Sie war so nett zu mir, und du bist sauer auf sie.«
»Ich bin überhaupt nicht sauer auf sie. Auf die Idee kommt sie garantiert nicht.«
»Ich bin nicht blöd, Aidan, ich hab’s doch gesehen. Und ich würde sie an deiner Stelle mal ganz schnell anrufen, wenn du nicht willst, dass sie auf Nimmerwiedersehen verschwindet. Sie ist viel netter als Shelley. Die hat immer nur auf uns heruntergeguckt. Tess … sie passt richtig gut zu uns.«
»Woher willst du denn das wissen? Du hast doch kaum mehr als vier Stunden mit ihr verbracht.«
Ihr Blick war kühl und sehr erwachsen. »Sie hat gestern und heute viel über ihre Familie erzählt. Vorhin zum Teil, weil sie mich von den Schmerzen durchs Nähen ablenken wollte, aber ich glaube auch, sie musste einfach mit jemandem reden. Schon komisch. Ich hätte
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